Architektonischer Super-Gau?

■ Der Abrißbirne auf der Spur, innovativer Industriesound: „Einstürzende Neubauten“ mit Stahl- und Blechtradition zum dritten Mal in Bremen / Nachbarschaft aufgepaßt: Heute, 20 Uhr, im „Modernes“

Die Gerätschaften, die vor etlichen Jahren die Bühne des „Aladin“ in Hemelingen füllten, waren mindestens so ungewöhnlich wie der gesamte Konzertabend. Mit den Gruppen „Sprung aus den Wolken“ und „Mekanik Destrüktiv Kommandöh“, stellten sich mit den Musikern Blixa Bargeld, N.U. Unruh und F.M. Einheit Schwerarbeiter dem Publikum. Denn ihr Instrumentarium bestand vorwiegend aus Stahlträgern, Vorschlaghämmern, überdimensionalen Blechplatten und zahlreichen metallischen oder plastikähnlichen Hohlkörpern. Ganz vorn am linken Bühnenrand stand ein einsamer Mann mit einer verschrammelten Gitarre und begleitete das infernalische Treiben neben sich mit atonalem Saitengekreische. Es war schon ohrenbetäubend, wie mit voller Wucht ein Hammer massive Eisenstangen zum Vibrieren brachte und scheppernde Kübeldeckel flimmernde Geräuschstöße durch die Lautsprecherbo

xen abgaben. Die Gitarre pruduzierte dazu Töne, als wenn jemand einen Stacheldrahtzaun auf eine Obstkiste gespannt hätte und nun versuchte, mit einer Kohlenzange darauf zu spielen. Das war am 12.11. 1981 und nicht wenige ZuhörerInnen zeigten sich baß erstaunt. Das war neu.

„Einstürzende Neubauten“ nannte sich die Formation, und der Name war Programm. Ihre Instrumente fanden die Gruppenmitglieder auf Schrottplätzen und Müllhaufen in der Nähe ihrer Auftrittsorte, nur Gitarre, Baß und einige wenige essentielle Schlagwerkzeuge gingen mit auf Reisen. Das machte eine ständige Annäherung an neue Klangkörper und Spielweisen nötig.

„Einstürzende Neubauten“ machten es sich zur Aufgabe, den Musikbegriff um viele Elemente zu erweitern, und gerade auch alltägliche Dinge in ihren Klangvortrag miteinzubauen. Was Karl-Heinz Stockhausen am Anfang der 70er Jahre (vor AG -Weser

Arbeitern im Lärm einer Montage-Halle: „Sie wissen ja gar nicht, wieviel Musik sie jeden Tag hier hören dürfen“) von linken Kritikern noch als „Kulturfaschismus“ angekreidet wurde, erhielt Mitte der 80er Jahre den Zeitgeist-Anstrich des Neuen. So ließen es sich die fünf Berliner auch nicht nehmen, mal die Bühne mit Kettensägen zu bearbeiten oder riesige Bußreifen mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Diese Aktionen schufen Auf-und Ansehen.

Blixa, die bleichgesichtige Zentralfigur des musikalischen Abbruch-Kommandos, konnte schon bald Freitickets zu Einladungen nach Japan und Amerika in Empfang nehmen, der Aufruhr in den Medien zeigte seine Wirkung. Der japanische Regisseur Sogo Ishi drehte den Film „Halber Mensch“ mit ihnen und das

kulturbürgerliche Goethe-Institut offerierte ihnen einen Sponsor-Vertrag. Nach dem Auftritt auf dem Nürnberger Reichstagsgelände 1986 erhielten die Neubauten gar Sendezeit in der ehrwürdigen ZDF-Kulturinstitution „aspekte“ und wenig später ein Angebot. Peter Zadek vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg verpflichtete sie als Background-Combo für seine „Andi„-Inszenierung. Erstmals waren Gagen von DM 25.000 pro (Geld-)Nase im Gespräch. Davon hätten sie sich eine ganze Menge Stahl und Blech kaufen können.

Doch stattdessen zogen sie mit weit mehr standatisiertem Equipment durch die Lande und zeigten sich gezähmter. Mit der besseren Verdaulichkeit erreichten sie folglich auch mehr Konsumentenschichten. Bei ihrem zweiten Auftritt in Bremen vor genau ei

nem Jahr bespielten sie den Schlachthof und schon waren die Meinungen geteilt. Die eine Seite war schlichtweg begeistert und lobte die eigenständige Ausrichtung der Brachial -Musiker, die Kritiker mäkelten, seit 1981 sei es ohnehin mit den großartigen Ideen der Gruppe weniger geworden. Überhaupt sei „Test Department“ aus London die einzig legitime Weiterentwicklung dieser Kunststil-Richtung.

Wie auch immer, es war zu hören, daß es der Wunsch der Gruppe selbst war, diesmal im Modernsten aufzutreten. Vielleicht wollen sie demonstrieren, daß sie ihren Bandnamen immer noch voll gerecht werden können. Die Herren Woltersdorf und Hellmann, die für den Auftrittsort verantwortlich zeichnen, werden es mit gemischten Gefühlen aufnehmen.

Jürgen Francke