: Iraner erwürgt: Bewährung
Bewährungsstrafe für zwei Tübinger Angestellte, die einen Asylbewerber zu Tode würgten ■ Aus Tübingen Vera Gaserow
Als freie Männer konnten gestern nachmittag zwei Tübinger Angestellte der Supermarktkette „Pfannkuch“ den Gerichtssaal verlassen, die im August 1987 den Asylbewerber Kiumars Javadi als vermeintlichen Ladendieb zu Tode gewürgt hatten. Unter empörtem Geraune der Zuschauer entschied die Jugendkammer des Landgerichts, daß das 18minütige, schon nach kurzer Zeit tödliche Würgen des jungen Iraners nur unter den Straftatbestand „fahrlässige Tötung“ fällt.
Beide Angeklagten erhielten eine jeweils achtzehnmonatige Freiheitsstrafe zur Bewährung. Das Opfer, das sich zunächst mit Drohungen und Fausthieben gegen die Festnahme durch die Supermarktbediensteten gewehrt hatte, habe durch sein Verhalten „schuldhaft“ zum „tragischen Fortsetzung auf Seite 2
Geschehen beigetragen, so das Gericht. Mit diesem Schuldspruch ist die sonst als „beonders scharf“ berüchtigte 1.Jugendkammer des Gerichts an dem untersten Rand aller möglichen Strafen geblieben. Die Staatsanwaltschaft hatte für die beiden Supermarktangestellten eine Freiheitsstrafe von jeweils zweieinhalb und drei Jahren ohne Bewährung wegen fahrlässiger Tötung mit Todesfolge gefordert. Der Anwalt der Nebenklägerin, der Witwe des getöteten Javadis, hatte für eine Verurteilung wegen Totschlags plädiert.
Obwohl mehrere Zeugen in dem dreitägigen Verfahren übereinstimmend ausgesagt hatten, sie hätten die beiden Angeklagten mehrfach angeschrieen, von dem am Boden liegenden Asylbewerber abzulassen, weil der keine Luft mehr bekäme, entschied das Gericht gestern, die beiden Pfannkuch -Mitarbeiter hätten während des rund achtzehniminütigen Würgens nicht erkennen können, daß für den jungen Iraner eine lebensbedrohliche Situation entstanden sei. Genau das Gegenteil hatte jedoch das medizinische Gutachten in diesem Verfahren festgestellt, aus dem eindeutig hervorging, daß Javadi schon nach spätestens zehn Minuten völlig leblos in dem Würgegriff des angeklagten Lehrlings Andreas U. lag, während der Filialleiter zur Unterstützung dem wehrlosen Opfer das Fußgelenk umdrehte. Beide hätten, so der Gutachter, auch als Laien merken müssen, daß Javadi sich schon nach kurzer Zeit blau färbte und keine Luft mehr bekam. Dennoch hatten beide erst von ihrem Opfer abgelassen, als nach fast 20 Minuten die Polizei eintraf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen