Ausflug in die Eiszeit

■ Im Umland unterwegs: In Blumenthal weihte gestern die Umweltsenatorin ein Naturschutzgebiet auf Endmoräne und Flugsand ein / Krach und Müll verboten

Nein: Für x-beliebige Sonntagsausflügler oder solche RadlerInnen, die aus dem Wunsch nach einem bißchen Natur, viel Kartoffelsalat im Ausflugslokal und gebräunten Schultern ihre Touren planen, ist das jüngst ausgewiesene und dazu mit einem Hauch von richtiger Ewigkeit versehene

Naturschutzgebiet Bremens entschieden nicht zu empfehlen. Denn - den UmweltschützerInnen zur Freude - es gibt kein Gartenlokal, keinen Abenteurspielplatz, nicht einmal Sitzbänke, aber viel Zaun, wenn auch betont unaufdringlich und mit original Eichenholz-Pfählen in die Landschaft gefügt.

Ganz schön viel Ewigkeit unter kleinster Fläche: Da, wo die Bremer Welt schon fast zu Ende ist, wo die autobahnmäßige B 74 hinter Vegesack einspurig in dem Ortsteil mit dem schönen Namen 'Blumenthal‘ endet, da, wo nach 30 Kilometern ab Innenstadt nur noch ein schmaler bremischer Nordzipfel ins Niedersächsische ragt - links die Weser, rechts die Garlstedter Heide - da ist seit gestern mit einem nagelneuen Schild aus der Hand der Umwelt-Senatorin Eva-Maria Lemke -Schulte ein kleines, feines Naturschutzgebiet mit dem vielsagenden Namen 'Eispohl / Sandwehen‘ ausgewiesen.

Gemessen an der besagten Ewigkeit erst vor ganz kurzem, nämlich bereits in diesem Jahrhundert und vor der Erfindung der Kühlschränke, haben die bremischen Bierbrauer sich allwinterlich aufgemacht, das Eis von dem kleinen See 'Eispohl‘ gebrochen und in unterirdischen Stollen bis in den Sommer verwahrt, um dann das frische Bier damit zu kühlen. Eine Kleinigkeit, nämlich rund 10.000 Jahre früher, hat es den Sand von der Weser hochgeblasen zu einer Düne: „Sandwehen“ heißt deshalb das Gelände um die beiden Teiche 'Eispohl‘ und 'Katzenpohl‘ herum. Unter Sand und Teichen liegt eine dicke, undurchlässige Lehmschicht, auf der das Regenwasser in den Sandkuhlen-Seen wie in einer aufgehaltenen Hand („Ausblasung“) stehen bleibt. Und der „Geschiebelehm“ kommt von den Gletschern nicht einmal der letzten, sondern schon der vorletzen Eiszeit vor 200.000 Jahren.

Zu so viel Vergangenheit pas

sen die vorsintflutlichen seltenen Amphibienarten, die hier zwischen Wasser und Land zu Hause sind: Mindestens acht verschiedene Lurcharten leben und vermehren sich immerhin so, daß die Bestände seit Jahren konstant bleiben. Für Lungen-Enzian und den rundblättrigen, insektenfleisch -fressenden Sonnentau, für Mager-Rasen, Heide-Sande und Moorbärlapp muß schon ein Auge haben, wer durch das kleine Eiszeit-Paradies spaziert.

„Gegen schwersten Protest der Bevölkerung“, so erinnert sich Wolfgang Fastenau von der BUND-Gruppe („Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands“) Blumenthal, sind schon vor Jahren die Zäune um die Teichufer gezogen worden als Schutz vor den sonntäglichen Picknickern und Sonnenanbeter- Innen. Besonders, nachdem in den 60ern das Wohngebiet „Lüssumer Heide“ gleich nebenan aus dem Sandboden gestampft wurde, gab es statt Lurchen und Libellen Müll und Modellboote. Daß zweitweilig fast kein Hälmchen am Ufer mehr stand, ist der gut erholten Vegatation inzwischen nicht mehr anzumerken.

Gegen Bebauungspläne, die hier eigentlich eine gewaltige Bezirkssportanlage und eine Reihe Kleingärten ansiedeln wollten, haben die NaturschützerInnen jetzt gewonnen „einvernehmlich“, wie der betagte BUND-Vorsitzende Walter Schröder gestern bei der Einweihung betonte. Die Kleingärtner hätten sogar freiwillig auf Gelände verzichtet. Das mag auch damit zusammenhängen, daß die Böden „nährstoffarm“ sind und es bleiben sollen, um die typische Flora und Fauna zu erhalten. Wachsen zu viele Bäume in die Teiche, startet der BUND eine „Entkrusselungsaktion“: Baum ab, heißt es dann entschieden, damit das Laub das seltene arme Biotop nicht in fruchtbares Gartenland verwandelt.

Immerhin eine kleine Ewigkeit, nämlich über 50 Jahre lang kämpfen NatürschützerInnen schon um Eispohl und Sandwehen: Keine notgedrungen senstorisch ausgewiesene Ersatzfläche also für ein zuzbetoniertes Kleinod anderswo, sondern ein richtiges natürschützerisches Wunschkind. Mit 24 Hektar ist das NSG nur halb so groß wie Schwachhausen. Baden, Reiten, Schlittschuhlaufen und Zelten ist ebenso verboten wie Feuer, Müll oder Krach zu machen. Aber die Dünen runterrodeln, das darf man im Winter. Susanne Paa