DIE SCHÖNSTEN TAGE DES JAHRES

■ Endlich brabbelt sich Olga'O Groschen über die EM 88 aus und wirbt für Mike Tyson

„Manche Leute halten Fußball für einen Kampf auf Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, daß es weitaus ernster ist.“ (Bill Shankly)

Ab und zu muß man seine Fähigkeiten in den Dienst einer einzigen Sache stellen, und dazu fiel mir in den letzten Tagen außer Michaela nur die Fußballeuropameisterschaft ein. Da die sonstigen Kulturleistungen in dieser Zeit nur ärgerliche Pickelherde im Hirn verursachen, schien diese Veranstaltung geeignet, sich im Fernsehsessel zurückzulehnen und zu entspannen. Und was war uns nicht alles versprochen worden! Freude am Fußball! Kraft durch Fußball! Sei mein Co -Trainer bei der EM! Die besten europäischen Mannschaften im sportlichen Ringen um die Euro-Krone! Und englische Fans in den deutschen Fußgängerzonen! Zu guter letzt ein Bierfront -Sonderheft! Als eingefleischter Fernsehfußballprofi mußte ich die Sache ernsthaft in Angriff nehmen, und das heißt: wetten. Dazu muß man wissen, woran man mit seinen Leuten ist; und zu meinem Entsetzen mußte ich einige Bekannte, denen ich ansonsten einiges zugetraut hatte, umgehend aus meinem Gesichtskreis eliminieren. Völlig verwarzte Leichenwäscher entpuppten sich als Banausen, die angewidert die Augen verdrehen beim Wort Fußball, auch Kulturschaffende von Weltniveau und naseweise Zimtzicken erwiesen sich als unhaltbar. Im Lager der Kenner und Genießer tobte noch die Diskussion um die deutsche Mannschaftsaufstellung, als ich stur den Endsieg der holländischen Truppe weissagte. Das brachte mir zwar Prügel ein, aber auch hämisch grinsend angebotene Wetten, die ich dankbar einging. In kürzester Zeit hatte ich ein tägliches Telefonnetz installiert, um die verschiedenen Einsätze und Modalitäten zu koordinieren. Ein Engländer aus Köln, mit merkwürdig blubbernder Stimme am Apparat, vor allem nach dem Irland-Spiel, mußte seinen Patriotismus teuer bezahlen. Andere Leute hatten sich aus verworrenen Gründen auf eine exotische Mannschaft festgelegt, waren aber noch nicht reif genug, um bare Münze zu wetten, sondern boten ausweichend Negerküsse Bierpaletten Sektflaschen Kaugummis als Einsätze. In der Not frißt der Teufel Fliegen. Als gebranntes Kind der WM 86 schloß ich diesmal nur astreine Bierdeckelverträge ab, was besonders für Eberhard, einen sturzbesoffenen Ostberliner, zur Katastrophe wurde, als er allen Ernstes auf die DDR als neuen Europameister schwor. „Gullit?“, blökte er am volkseigenen Tresen und plapperte dann aufgeregt lauter ostdeutsche Spielernamen daher. Etwas schlauere Gemüter, etwa mein äußerst gut aussehender Karatelehrer Jo, sahen mit albernem Kichern die UdSSR vorn. Nun, unsereins weiß, wie nutzlos da Argumente sind. Man wird nur aus Schaden klug.

„Fußball ist ein Kampfsport für Männer“ (Helmut Kohl)

Und er muß es ja wissen. Doch auch wir Fernsehzuschauer haben es mitunter nicht leicht. Lange voraus planen wir die Fernsehspeisekarte und schleppen schnaufend Vorräte in unsere Wohnung. Stundenlang starren wir mit hervorquellenden Augen auf den Bildschirm. Dann die Panik, wenn kurz nach der Halbzeit die letzte Bierflasche geleert ist. Und dann der Ärger mit den deutschen Kommentatoren. Gleich im Eröffnungsspiel saß Heribert Faßbinder hinter dem Mikrophon und kitzelte von der ersten Minute an unseren Brechreiz; ein Affenschänder erster Güte, der mir jedesmal und auch diesmal mit seiner perversen Formulierung „Das Auswechselkontingent ist erschöpft“ den Rest gab. Wohlgemerkt, die Zuschauergemeinde am Bildschirm ist hartgesotten und ziemlich abgebrüht. Wir haben Ernst Huberty überlebt und können uns an guten Tagen auch an Hans Joachim Rauschenbach aufgeilen. Wir sind es gewohnt, von brandgefährlichen Stürmern zu hören, die man keine Minute aus den Augen lassen darf. Wir nicken ergeben, wenn der Reporter den jeweils ballführenden Spieler mit Namen nennt. Wir hören es gern, wenn „der deutsche Angriff rollt“. Aber Heribert Faßbinder ist zuviel. Wahrscheinlich singt er jedesmal die deutsche Nationalhymne laut mit, bloß stellt ihm die Regie dann den Ton ab. Und völlig erniedrigend waren an den nächsten Tagen seine nachgereichten Spielanalysen mit den Höhepunkten („Können wir die Torszene in der 30. Minute nochmal sehen?“), die Udo Lattek dann kommentieren sollte. Das deutsche Spiel übrigens plätscherte erwartungsgemäß dahin, und es ist offenbar allein die Finanzkraft des DFB, die die deutschen Erfolge choreographiert. Das war bei der Weltmeisterschaft so, und wurde diesmal überdeutlich. Kein Wunder, daß die 135 Millionen für die Bundesligaübertragungen dringend benötigt werden. Der Ausgleich gegen die Italiener hat vielleicht nur einige Tausender an den Schiedsrichter gekostet, und die für die Dänen arrangierte Bierfete am Vorabend der Begegnung gegen die Deutschen kaum mehr, aber an die Spanier muß doch eine erkleckliche Summe geflossen sein, vor allem wegen der aberwitzigen Auflage, daß der allerletzte Heiopei der Deutschen, Ruuuudiiii, die beiden Tore machen sollte. Dabei wird die Springerpresse auch 'ne Mark gespendet haben. Ihrem Einfluß ist es übrigens zu verdanken, daß unsere Helden zunehmend Rudi Andi Litti Klinsi heißen. Mit vielen Experten aus meinem Freundeskreis bin ich jedoch der Auffassung, daß das Hauptproblem dieser Lackaffe von Tihmscheff ist, der das Ansehen des deutschen Fußball ruiniert, indem er die debilsten Torfköppe auf den Rasen schickt, mal abgesehen von Klinsmann und Kohler. Wo war Riedle? Eckstein? Siggi Reich? Wuttke? Der kleine Allofs? Was soll diese Witzfigur im deutschen Tor? Wo war der unermüdliche Mittelfeldmotor? Aber was solls. Auf den kleinen Mann hört ja doch niemand. Aber dann soll man sich auch nicht wundern, wenn wir unsere Liebschaften woanders suchen.

„Jeder, der einen Bleistift gradhalten kann, darf einen Artikel über Fußball schreiben, das ist ja das Schöne an diesem Land.“ (Franz Beckenbauer)

Die nächsten Tage lungerte ich immer um irgendeinen Fernsehapparat herum, damit ich keine EM-Extra-Sendung verpaßte. Merkmale ungezügelter Trunksucht wurden sichtbar. Allmählich fühlte ich mich dem englischen Trainer Robson nahe, der regelmäßig mit völlig zugeschwollenen Augen auf seiner Bank saß und ins Rund des Stadions blinzelte. „Wo bin ich? Was soll ich hier? Warum hat man mich hierher gebracht? Was war gestern nacht los?“ Ganz offensichtlich verbrachte er seine Nächte in einer mit Wodka gefüllten Badewanne, und nicht nur bei ihm war Alkohol im Spiel. Lineker beispielsweise irrte an den Eckfahnen herum, Hoddle dirigierte die Gesänge der Holligans; dabei waren Chancen genügend vorhanden, gegen die Iren wie gegen die Holländer. Das Kick-and-rush-System hat zweifellos eine große Zukunft, wenn man es ohne Rücksicht auf Verluste durchzieht und nicht dauernd vor auftauchenden Verteidigern zusammenschreckt. Andererseits ist es nur verständlich, daß sich ein Windbeutel mit 2.7 Promille nicht mehr ganz unwiderstehlich im gegnerischen Strafraum durchtanken kann. Besser die irischen Kartoffelbauern, die wenigstens ordentlich Einwürfe trainieren, die sie dann mit einem Scherenschlag ins kommunistische Tor kübeln. Bei jenem Spiel kotzten mich die Russen endgültig an. Schon gegen die Holländer hatten diese Dumpfdrösel eine geschlagene Stunde auf dem Rasen gestanden und Maulaffen feilgeboten, dann ein Tor geschossen und hinten dichtgemacht. Sowas nennen die deutschen Reporter dann „modernen Fußball“, aber es ist genauso gähnend wie das Spiel der Italiener, die zwar im Mittelfeld mit feiner Ballbehandlung herumkicken, aber im Grunde nur die neuesten Hits von Sabrina im Kopf haben. Sowas hat echt keinen sittlichen Wert. Anders dagegen die Holländer, bei deren Spielen ich denn auch am eifrigsten aß und trank. Milch mit Smacks waren geeignet, die millimetergenauen Fünzigmeterpässe von Gullit zu feiern, Schokoladenpudding mit Vanillesoße, wenn Rijkaard sich ins Angriffsspiel einschaltete. Den Kummer nach dem Russenspiel ersäufte ich standesgemäß mit Genever, durchkreuzt vor lauter Aufregungszigaretten, weil pausenlos das Telefon klingelte. Hellwache Knalltüten aus der weiteren Umgebung schnüffelten damals noch die Chance, meine Hollandbegeisterung auszunutzen. Aber solche Phasen muß man mit kühlem Kopf durchstehen, ohne sich kirre machen zu lassen. Der weitere Verlauf gab mir ja auch Recht, und am Tage des Endspiels konnte ich nur noch Michaela zu einer Wette um eine Tüte Chips überreden. Die erste halbe Stunde sind die Russen am Drücker, tun und machen hin und her, doch ohne mal richtig aufs Tor abzunudeln, während Kusnezow fingernägelkauend auf der Ersatzbank harrt. Sein Trainer daneben, von dem alle Reporter wissen, „Lobanowsky frißt Kummer wie Freude in sich hinein“, aber den sollten sie mal in Kabinen danach sehen, wenn das Tier in ihm erwacht. Dabei war das Finale schon allein von den Frisuren her klar eine holländische Angelegenheit; die Russen pflegen immer noch den Siebziger -Jahre-Look, am liebsten mit derartigen Koteletten, daß sie im Kumpelnest kaum auffallen würden, eben noch so eine Horde Schweinepriester aus Ostfriesland. Wegweisend die windschnittige Haartracht Ronald Koemans! Dann krallen sich die Oranjes den Ball, den Atem ihrer vierzigtausend Fans im Nacken, Flanke Kopfball Tor. Die ganze Solmsstraße brüllte auf. In der Pause haben sie sich dann den Treffer zum 2:0 ausbaldowert, nur um mal zu zeigen, was gute Fußballer so alles können. Längst spielen Gullit wie Rijkaart mit winzigen Walkmen, was den zunehmend psychedelischen Spielfluß erklären hilft. So, gut, aus und vorbei. Die Tage danach hatte ich schwer zu tun, um die Gewinne einzusammeln, und kam erst Montag nacht einigermaßen zur Ruhe, als die Boxweltmeisterschaft im Schwergewicht übertragen werden sollte. Pünktlich um halb fünf meldete sich Peter Jensen aus Atlantic City, sülzte aufgescheucht herum, während eine Aufzeichnung vom Nachmittag eingespielt wurde, die einen zukunftsträchtigen Kanadier namens Razor Russnick zeigte, der seinen Kontrahenten vermöbelte. Guter Mann. Aber was sind all diese Herren gegen den einzigen wahren Mike Tyson. Ein Muskelpaket wie Michaela * (* zensiert, d. Red.)! Nur ein Jahr älter als sie! Neunundneunzig Kilo schwer! Sein väterlicher Trainer ist verstorben, sein Manager betrügt ihn, Ehefrau und Schwiegermama schröpfen ihn, und Michael Spinks will ihn verhauen. Lächerlich! Während im Ring ein Zombie namens Ali gezeigt wurde, ein echt niederschmetterndes Wrack, pogote Tyson durch die Zuschauermassen, die für ihre paar tausend Dollar eine wilde Prügelei sehen wollten. Vor einem halben Jahr hatte er den Koloß Larry Holmes achselzuckend auf die Bretter geschickt, in der zweiten Runde, wenn ich mich recht erinnere. Diesmal hatte er noch eine Verabredung in einer Kneipe, ploppte beim ersten Gongschlag hoch und hängte sich in Spinks rein. Dessen Bruder wurde mal „der wandelnde Dreifuß“ genannt, als er Ali schlug, weil er sein Gleichgewicht durch die Schläge und Punchs aufrechterhielt. Bei Tyson sieht das noch schärfer aus, wenn auch nicht so langwierig. Nach den ersten zehn Sekunden hatte sich Michael Spinks schon völlig eingemacht, fing den ersten Nasenstüber und setzte sich erstmal. Kam hoch, schließlich war die Sache auf 12 Runden angelegt, und schlurfte zu Tyson hin, mit hängender Deckung. Und was machte er dann? Einen Diener; verbeugte sich vor ihm. Tysons rechter Haken war ansatzlos, überhaupt nicht zu sehen, und wischte Spinks fast in die Zuschauermenge, die natürlich empört aufbrüllte. Ebenso unbefriedigt rief Sekunden später Michaela an, ob das nun alles gewesen sei und daß sie unter solchen Umständen kein Interesse mehr an Männern hätte, diesen Saftsäcken. Von Mike Tyson mal abgesehen.

Olga O'Groschen