„Ich will doch niemandem zur Last fallen“

■ Eine 76jährige Frau soll nach ihrem Haus auch ihre Möbel verlieren / Zwangsversteigerung ihrer einzigen Habe ist für Montag geplant / Petitionsausschuß kann „wegen Parlamentsferien“ nicht eingreifen / Einzige Hoffnung ist das Sozialamt

„Nie in meinem Leben bin ich jemandem zur Last gefallen, ich gehe nicht zum Sozialamt!“ Wie viele alte Menschen gibt es, die diesen Satz mit dem ganzen Stolz eines langen harten Lebens sagen - und sich damit selbst in Schwierigkeiten bringen. Eine von ihnen ist die 76jährige Gerda H. Ihr halbes Leben hat sie gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Sohn ihrer Mutter und zwei Schäferhunden in einem kleinen Häuschen in Rudow zugebracht. Heute sitzt sie auf der Staße, wurde zwangsgeräumt. Ihre Möbel, Erinnerungsstücke an ihre Familie, werden, wenn kein Wunder mehr geschieht, am Montag versteigert.

Vor mehr als 30 Jahren hat Vater H. das kleine Häuschen im Glockenblumenweg ganz im Süden Berlins in Buckow gebaut. Seither lebte die Familie dort, in drei Zimmern, Diele, Küche und Bad. Finanziell kamen sie immer gerade so über die Runden. Bis letzten Sommer, das Haus gehörte inzwischen dem Sohn, Gerda H. und ihre inzwischen 100jährige Mutter von der Zwangsversteigerung überascht wurden. Von da an ging alles ganz schnell. Der neue Besitzer beantragte die Räumung, obwohl er selbst gar nicht vorhatte das Haus zu bewohnen. Zuvor hatte er Frau H. einen Mietvertrag angeboten. 900 Mark Kaltmiete sollte sie im Monat bezahlen. Doch mit den 748 Mark Rente, die Gerda H. jeden Monat abholen kann, war gar nicht daran zu denken. Weil ihre Mutter krank war, konnte sie beim neuen Besitzer einen Aufschub für die Räumung erwirken. Seit fünf Jahren nämlich, nachdem sich die alte Frau den Oberschenkel gebrochen hatte, war sie bettlägerig und wurde von ihrer Tochter gepflegt. „Wissen Sie, das ist schwer, so einen Menschen immer zu heben“, erzählt die 76jährige über ihre 100jährige Mutter, die am 6.Februar starb. Kurz zuvor, am 26.Januar, hatte sie ihren 101.Geburtstag gefeiert.

Damit war auch für Gerda H. die Schonfrist vorbei. Die Räumung wurde auf den 5.Mai festgesetzt. Ihre Suche nach einer anderen Wohnung war vergeblich. „Wer nimmt denn eine Frau mit zwei Hunden“, sagt sie. „Aber von den Hunden trenne ich mich nicht, das ist ja alles, was ich noch habe“.

Um 8 Uhr morgens kommt der Gerichtsvollzieher und die Räumungsfirma. Gerda H. hat noch eine Viertelstunde Zeit, um ein paar Kleinigkeiten zu packen. Der Rest wandert ins Möbellager. Warum ist sie nicht zum Sozialamt gegangen, warum hat sie kein Wohngeld beantragt, sich bei der Wohnungssuche helfen lassen? „Nee, ach wissen Se nee, nachher fällt das alles auf meinen Sohn zurück.“

Gerda H. ist in einer kleinen Wohnung in Wilmersdorf untergeschlüpft, zusammen mit ihrem Sohn, dessen Lebensgefährtin und den beiden Hunden. Ihr ist nichts mehr geblieben. Ihre Sachen, so wurde ihr mitgeteilt, könne sie abholen, wenn sie die Räumungskosten von 4.652 Mark beibringt. „Wie kann ich das, ich hab ja nüscht“, sagt Frau H. Am Montag sollen sie nun versteigert werden. Jetzt, wo eigentlich schon alles zu spät ist, bittet Frau H. um Hilfe. Doch ohne Gehör. Beim Senator für Soziales, Ulf Fink, an den sie einen Bittbrief schrieb, wurde ihr - die ein leuchtendes Beispiel der häuslichen Pflege und des Ehrenamtes ist keine Hoffnung gemacht. Der Petitionsausschuß bedauerte mit Hinweis auf die Parlamentsferien. Juristisch ist nichts mehr zu machen. Helfen kann jetzt nur noch das Sozialamt Neukölln. Wenn Frau H. am Montag morgen dort anklopft und einen Antrag auf Übernahme der Räumungskosten stellt, müßte ein verständiger Beamter den Telefonhörer in die Hand nehmen, die Nummer des Möbellagers wählen und die Zwangsversteigerung stoppen. „Ich will doch bloß die Sachen wiederhaben und die von meiner Mutter“, sagt die 76jährige, „ick hab se doch so jeliebt“.

Brigitte Fehrle