Nur der Rock kam zu kurz

InFraRoT - Internationales Frauenrocktreffen in Berlin/ Oder: Warum lieben Frauen gepflegten Jazz?  ■  Von Katharina Döbler

Zum sechsten Mal fand dieses Jahr das Internationale Frauenrock-treffen in Berlin statt: kurz InFraRoT genannt.

Wer nun gedacht hatte, daß Rockmusikerinnen aus aller Damen Länder ein dröhnendes Festival hinlegen würden, hatte sich gründlich getäuscht.

Gut, daß sich die weiblichen Größen des internationalen Rock-Business nicht herbequemen würden, war klar. Aber daß der selbstgesteckte Rahmen so eng ausfallen würde, war doch überraschend. Müssen denn diese - anscheinend notwendigen Nischen zwecks Entfaltung weiblicher Kreativität wirklich so klein und so geschützt und so schummrig sein?

Wo doch Rockmusik so etwas spektakuläres und extrovertiertes ist! Die Sorte Musik, die Eltern und Nachbarn zu laut finden!

Das war schon das erste Problem: Bei diesem Musikerinnen -Treff kam der Rock, der laute, ganz entschieden zu kurz. „Vielleicht ist Rockmusik den Frauen zu hart“, sinnierte eine der Veranstalterinnen, „oder es liegt an den organisatorischen Schwierigkeiten...“ Ein paar Rock -Macherinnen waren ja da; aber die betätigten sich mehr pädagogisch in den Workshops. Was also dominierte, war Jazz: mal funkiger, mal avantgardistischer, mal hübsch ordentlich strukturierter mit Platz für gedämpftes Klatschen nach jedem Solo. Männer raus?

So war auch das Eröffnungskonzert der passende Einstieg in das ganze Wochenende. Die „Guest Stars“, eine Jazz(-Rock) -Frauenband aus London, spielten gekonnt, aber nicht übermäßig mit Esprit gesegnet. Einzig Luisa, die Saxophonistin, fiel mir durch Lebendigkeit auf. Und die Schlagzeugerin, die fiel auch auf: sie war ein Mann, und ein schwarzer dazu.

Schlecht waren die „Guest Stars“ alle nicht, bis auf die Mixerin (Geschlecht nicht überprüft), deren Vorliebe fürs Schrille manchmal ohrenschmerzende Folgen hatte.

In der Pause leerte sich das ohnehin schon halbleere Zelt noch mehr. Schade, denn was dann kam, war Jocelyn Bernadette mit ihren Married Men: Die Frau mit der gnadenlosen Energie, mit der wunderbaren schwarzen Stimme. Ihr Pech war, daß die dogmatischen Puristinnen im Publikum auf ihre Männerband gleich sechs Stück! - fürchterlich empört reagierten. Nach dem ersten Stück (dem, ach, ersten des Abends, das mir wohlige Schauer entlockte) skandierten die Aufgebrachten im Chor: Män-ner-raus, Män-ner-raus, was Jocelyn dazu veranlaßte, ihr Hemd zu lüften, um ihre Weiblichkeit unter Beweis zu stellen.

Aber die Gestrengen ließen sich nicht überzeugen und verließen zum größten Teil das Zelt. Doch Jocelyn Bernadette und ihre verheirateten Männer kämpften um die spärlichen Überreste vom Publikum: mit Erfolg.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nach den ersten drei Stücken zu gehen, aber Jocelyn war stärker. Obwohl sie als Jazzsängerin auch einen Namen hat, legte sie mit ihren übrigens recht dekorativen - Jungs einen mitreißenden soul -funkigen Pop hin, der einfach unwiderstehlich war. Warum ist so etwas von einer reinen Frauenband so selten zu hören? Workshops

Am nächsten Tag ging's dann richtig los mit den Workshops: Für Anfängerinnen und Fortgeschrittene, von den ersten Tönen bis zur Bandarbeit. In einer zweckentfremdeten Neuköllner Schule wurde drei Tage lang ausprobiert, gelernt und kreiert. Seltsame Klangmischungen waren auf den Fluren zu hören. 180 Teilnehmerinnen, knapp die Hälfte davon aus Westdeutschland, Holland, der Schweiz und Österreich, schienen ausnahmslos begeistert. Sie genossen die Möglichkeit, ganz unter sich musikalische Fähigkeiten aufzuspüren und weiterzuentwickeln.

„Für Frauen ist der Einstieg in die Rockmusik nicht so einfach“, meinte Melanie Bayer, eine der Veranstalterinnen und Bassistin von „Seven Kick The Can“. Wer nicht genug Selbstbewußtsein mitbringt, wird in dieser Domäne, wo Leistung und Durchsetzungswille zählt, schnell untergebuttert. Auch fehlt es den Frauen meist am technischen Verständnis: Wie Verstärker angeschlossen und eingestellt werden, will gelernt sein. Also sollte auch die Technik in den Workshops nicht zu kurz kommen. Nichts Vulgäres

Session-Konzerte gab's dann an den Abenden im Quasimodo. Unter dem Motto „Vom Rock zum Jazz“, bzw. „Vom Rock zur avantgardistischen experimentellen Fusion“ spielten ProfimusikerInnen u.a. von den „Guest Stars“, „Seven Kick The Can“ und andere wie Katie O'Looney, USA (Drums), Corinne Curschellas, Schweiz, (Gesang, Piano) und Ilaria Kramer, Schweiz, (Trompete). Leider besaß auch die Session -Veranstaltung am Samstagabend jenen äußerst diskreten Charme, der einen wirklichen Kontakt zum Publikum und seine genußvolle Unterhaltung schon fast vulgär wirken läßt.

Zum Abschluß des Treffens traten am Sonntagabend die Workshop-Bands auf. Das große Zelt im Tempodrom war mit den FreundInnen und SympathisantInnen der Performing Artists zwar nicht annähernd gefüllt, dafür waren die Anwesenden emotional um so stärker beteiligt. Ein solches Publikum würden sich die Stars auch wünschen! Trotz vieler holpriger Rythmen und danebenliegender Töne waren die Ergebnisse dreitägiger Workshoparbeit überraschend gut: jedenfalls hörenswert für jede, die schon mal in einem Übungskeller um ein Stück Musik gekämpft hat.

Bei so viel Können und so viel vielversprechendem Nachwuchs, müßte doch in der Rockszene viel mehr von Frauen zu hören sein. Liegt es an einem freiwilligen Rückzug auf eine Art Sonderstatus (um nicht zu sagen Behindertenstatus), daß so wenige Frauen in aller Öffentlichkeit und mit Vergnügen einfach loslegen? Girls, let it rock!