Türkische Polizei foltert Musikerfamilie

Familie Akkaya wegen angeblicher Unterstützung der linksradikalen Organisation Tikko terrorisiert / Vater mit Elektroschocks gefoltert / Tochter Saadet mehrfach vergewaltigt und unter Folter Geständnis abgepreßt / Bei ihrem ersten Prozeßtermin gestern wurde sie wider Erwarten nicht freigelassen / Nächster Prozeßtermin findet am 22.Juli statt  ■  Aus Ankara Ömer Erzeren

An den Wänden Konzertplakate: 7.Februar Volksbildungsheim Frankfurt, 15.Februar Musikhalle Hamburg - Anatolien in Liedern, das Geschwisterduo Akkaya. Die beiden abgebildeten jungen Mädchen mit langen schwarzen Haaren, die Februar 1987 auf Tournee in Deutschland waren, sind der Stolz der Familie Akkaya: Saadet, 16 Jahre alt, und Gülten, 18 Jahre alt. Beide singen und spielen das türkische Saiteninstrument Saz. Musik ist die Welt der achtköpfigen Familie Akkaya inmitten der bescheiden eingerichteten Wohnung im Istanbuler Quartier Sirinevler. Der Vater Binali Akkaya beherrscht das Musikinstrument seit seiner Kindheit und hat es seine Kinder gelehrt. In dieser Wohnung begannen im Morgengrauen des 17.April die Ereignisse, die zur Terrorisierung und Folter der Familie Akkaya führen sollten.

Der Überfall

„An diesem Sonntag drangen 25 Zivilpolizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag in die Wohnung ein. Ich konnte gerade noch meinen Rock überstülpen. Sie haben die Wohnung auseinandergenommen, ohne irgend etwas zu finden. Meinen Mann und Niyazi Gürbüz, der unser Gast war, haben sie mitgenommen.“ Ayken Akkaya, die Mutter, ist keine ohnmächtige Frau, die sich bedrohen ließe. Mit klaren Sätzen erzählt die 40jährige selbstbewußte Turkmenin den Überfall der Polizei. Der Grund des morgentlichen Polizeibesuchs war ihr Gast Niyazi Gürbüz, den die Staatsgewalt als Mitglied der linksradikalen Organisation „TIKKO“ ausgemacht haben will. “'Wollen die Männer uns umbringen?‘ hat mich mein kleiner Sohn Levent gefragt.“ Drei Tage lang quartierten sich die Polizisten in der Wohnung ein. Gedacht als Falle für Personen, die an die Tür klopfen. Die Kinder durften nicht zur Schule. Mit Pistolen in der Hand wurde - nachdem der Vater weggebracht worden war - die Familie terrorisiert. „Ich mußte die Herren bewirten, ihnen Kuchen und Tee machen“, erzählt die 40jährige angewidert. Am zweiten Tag der polizeilichen Besetzung von Akkayas Wohnung passierte das Unglück. Ein Bekannter rief an. Die Tochter Saadet sprach „Onkel Polat, komm nicht, bei uns sind Polizisten im Haus“ in die Sprechmuschel. Die Polizei hörte mit. Saadet und ihre Schwester wurden abgeführt.

Der Vater

Binali Akkaya, der Vater, wurde bis zum 6.Mai auf der Polizeistation Gayrettepe von einem „Spezialteam“ der politischen Polizei verhört. „Jede Nacht wurde ich in die Folterkammer, die im Keller der Polizeistation Gayrettepe ist, gebracht. Ich mußte mich nackt ausziehen. Jede Nacht wurde ich mehrfach für rund 20 Minuten an den Beinen aufgehängt. Sie schlugen auf mich ein. Zwischendurch verhörten sie mich. Die Elektroschocks dauern drei bis fünf Sekunden und werden ebenfalls mehrfach pro Nacht gegeben. Die Folterbehandlung dauert insgesamt runf 40 bis 45 Minuten, anschließend zerren sie einen an den Haaren in die Zelle zurück. Fünf- bis sechsmal pro Nacht bringen sie einen von der Zelle in die Folterhalle. Tagsüber dauern die Verhöre an, aber in einem anderen Raum. Dort gibt es keine Spezialfolter, nur ab und zu Schläge. Manchmal geben sie sich dann auch freundlich und bieten Zigaretten an.“ Für wenige Minuten sah Binali am elften Tag seine beiden Töchter: „Sie brachten mich in ein Zimmer. Beide Mädchen saßen umringt von Polizisten auf einem Stuhl und weinten. 'Sag du, daß du Terroristen gefüttert hast, sonst stecken wir Schlagstöcke in deine Tochter‘, schrie einer und schlug auf mich ein. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich gesagt habe 'ihr bringt auch das fertig‘. Sie folterten mich im Nebenzimmer. Ich hörte die Schreie meiner Töchter. Ich wurde bewußtlos.“ Binali zieht sein Hemd aus und zeigt mir die pfirsichgroße Anschwellung an seinem Arm.

Der Maurer Binali, 46 Jahre alt, ein weißhaariger Mann mit weichen, freundlichen Gesichtszügen, hat zuviel Leid in seinem Leben erfahren, als daß er vor folternden Polizisten kapituliert hätte. Geboren im kurdischen Tercan hat er seit seiner Kindheit für die Agas, die Großgrundbesitzer, als Teilpächter geschuftet. Um Brot für seine Familie zu verdienen, ließ Binali sich von Arbeitsmaklern für den Bau in Libyen anheuern. „Die Löhne, die an meine Familie in der Türkei gehen sollten, hat die Baufirma zwischen 1978 und 1981 nicht ausgezahlt. Nach 30 Jahren Arbeit habe ich es geschafft, diese Apartmentwohnung in Istanbul zu kaufen.“ Binali unterschrieb auf der Polizeiwache nichts. Nach wochenlanger Folter wird er am 6.Mai dem Staatsanwalt vorgeführt. Der Staatsanwalt sieht keinen Grund zur Anklageerhebung. Am Nachmittag des 6.Mai wird er freigelassen.

Die Töchter

Die beiden Töchter Saadet und Gülten haben während der Polizeiverhöre in Gayrettepe ein Geständnis unterschrieben, wonach sie „Terroristen“ Beihilfe geleistet haben. Aufgrund dieser Geständnisse stellt der Staatsanwalt am selben Tag Haftbefehl gegen Gülten und Saadet aus. Die beiden werden von der Polizeistation Gayrettepe ins Gefängnis Sagmalcilar verlegt.

„Wenige Stunden, bevor wir dem Staatsanwalt vorgeführt wurden, brachten sie uns in ein Zimmer, wo ein Tisch mit Kalaschnikows und linken Publikationen präpariert war. Wir mußten uns hinter dem Tisch aufstellen. Das Fernsehen filmte und Fotoreporter fotografierten.“ Am Abend nach seiner Freilassung durch den Staatsanwalt, nachdem klar ist, daß keine Anklageerhebung gegen ihn ergeht, sieht sich Binali in der Nachrichtensendung des staatlichen Fernsehens TRT wieder: „Eine terroristische Bande mit Waffen und verbrecherischen Publikationen wurde ausgehoben.“ Binali zeigt mir die türkischen Tageszeitungen am Tage nach seiner Freilassung, wo er und seine Töchter vor Kalaschnikows, Flugblättern und Broschüren abgebildet sind. „Terroristenfamilie gestellt“, „Terroristen als Musikertrio getarnt“.

Mehmet Ali und Mihriban Kirdok übernahmen die Verteidigung der beiden Mädchen, nachdem der reguläre Haftbefehl ergangen und die beiden ins Gefängnis Sagmalcilar überführt worden waren. „Während der Besuchszeiten machte Gülten einen besseren Eindruck auf mich. Dagegen war Saadet ein verstörtes Mädchen mit frostigen Blicken und bleichgelber Hautfarbe. Sie blickte angstverzerrt vor sich hin und redete kaum ein Wort“, erzählt Mehmet Ali Kirdok. Dem Zufall ist es zu verdanken, daß seine Ehefrau Mihriban die Mandantenbesuche übernahm. „Es ist ein Wunder, daß zum Schluß das Mädchen mir gegenüber die sexuellen Tabus gebrochen und den Brief zugesteckt hat“, sagt Mihriban Kirdok. Ein mit zittriger Handschrift geschriebener sechsseitiger Brief der 16jährigen.

Brief aus dem Gefängnis

„Alle Scheinwerfer waren auf mich gerichtet. Als das Verhör sie nicht zufrieden stellte, zogen sie meine Bluse und meinen Büstenhalter aus. Um meine Arme wurden Decken gewickelt, um sie anschließend mit dicken Kabeln zu fesseln. Ich wurde auf einen Stuhl gestellt, und als hinge ich an einem Hebekran, wurde ich hochgezogen. Sie zogen den Stuhl weg und ich hing in der Luft. Sie gaben Strom, nachdem sie den Kreis über meine Brustwarzen und Fingerspitzen geschlossen hatten. Währenddessen spritzte der Polizist namens Bko Wasser auf meinen Körper. Ich dachte, meine Burst springt heraus. Nach einer Weile hörten sie mit den Elektroschocks auf. Mein Rock und mein Höschen wurden ausgezogen. Der Teamchef des Verhörs Eko 66 sucht sich einen Mann aus. Er zog sich Hose und Unterhose aus. Die anderen Polizisten kniffen in meinen Körper und schrieen lachend zu ihm, er solle schnell machen. Später rissen zwei Polizisten mir die Beine auseinander. Der bärtige kleinwüchsige Polizist, der sich vorher ausgezogen hatte, schrie „Bringt die Flasche“. Ich schrie in Panik. Mit dem stumpfen Ende der Flasche stieß er heftig gegen mein Sexualorgan. Ich wurde bewußtlos.

Ich erwachte in meiner Zelle blutverschmiert. Meine Blutung hat 5 Tage angedauert. Am nächsten Tag fragte mich der Polizist mit dem Code-Namen Panzer spöttisch, ob ich schwanger sei.“

Die Aussagen von Saadet Akkaya über ihre Folterungen werden von einer Röntgenaufnahme - vorgenomen am 10.Juni im Gefängniskrankenhaus Sagmalcilar - bestätigt. Schwere Lendenwirbelschäden attestiert das Gutachten des Gefängnisarztes, das dem Rechtsanwalt Kirdök vorliegt. Eine Unterleibsuntersuchung wurde trotz Beharrens Saadet Akkayas vom Gefängnisarzt verweigert. Seit zwei Wochen schon ist dem Antrag der Rechtsanwälte auf gerichtsmedizinische Untersuchung nicht Folge geleistet worden: Folterspuren werden verwischt. Seit dem Vorfall blieb bis heute die Menstruation bei Saadet Akkaya aus.

Die Täter

Saadat nennt in ihrem Brief die Code-Namen ihrer Vergewaltiger: Atom, Panzer, Joghurtman, Eko 66, Grüner. Die Namen sind keine Unbekannten. Seit Jahren werden gegen diese „Verhörexperten“ bei der politischen Polizei Gayrettepe Foltervorwürfe erhoben. Das türkische Regime, das sich Demokratie nennt und EG-gerechte Antifolterkonventionen unterschreibt, läßt jene Polizeibeamten in Amt und Würden. Beispiel: Atom. Er heißt mit richtigem Namen Erdogan Oguz. Da die Beweise zu erdrückend waren, war die Staatsanwaltschaft gezwungen, im Mai 1987 ein Verfahren gegen ihn einzuleiten. Er ist angeklagt, im Jahr 1984 den Gefangenen Hasan Hakki Erdogan durch Folter ermordet zu haben. Drei Polizisten bezeugten dies in den Gerichtsverhandlungen. Es ergeht kein Haftbefehl, keine Dienstsuspensierung. Atom foltert weiter in Gayrattepe.

In der Wohnung der Akkayas legt der Vater Binali eine Cassette mit Liedern von Saadet und Gülten auf. „Heute ist Besuchstag im Gefängnis. Die Hoffnung der Gefangenen ist der Besuchstag“, sagt Binali. Dann bricht er in Tränen aus.