Zum Frühstück in die DDR

Ein Bewohner des Kubat-Dreiecks berichteT über die Gastfreundschaft der DDR  ■ I N T E R V I E W

taz: Die Mehrheit der Bewohner flüchtete vor der Polizei über die Mauer in den Osten. Wie fühlt man sich auf der Mauer?

L.: Als ich von oben runterguckte, hab ich gedacht, ich muß sterben, wenn ich da runterspringe. Gott sei Dank fuhren die aber mit so offenen Planwagen an die Mauer, so daß man gemächlich an der Hand eines Grenzpolizisten heruntersteigen konnte. Die Lastwagen brachten uns in ein Verwaltungsgebäude, wo wir erst in einen kleinen Saal geführt wurden. Die wußten wohl nicht, wieviele wir werden würden. In dem großen Saal, das war wohl die Kantine, gab es ein üppiges Frühstück: körbeweise Schrippen, ganz viel Wurst, leider wenig Käse und jede Menge Zigaretten.

Glaubst du, Genosse Honecker hatte die Speisung der 220 vorbereiten lassen?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder werden die dort Beschäftigten heute nichts zu essen kriegen, oder sie haben es tatsächlich für uns vorbereitet. Aber es war seit der Vollversammlung am letzten Samstag ziemlich klar, daß wir kommen und daß die Grenzpolizei uns trotz aller Abwehrversuche der Massenflucht in den Osten dennoch betreut.

Was geschah nach dem Frühstück?

Nach und nach sind wir in Zweierkabinen geführt worden. Dort nahmen sie unsere Personalien auf und quakten mit uns rum. Ganz höflich fragten die Beamten: „Warum bist du denn rüber gekommen? Hast du außer der Konfrontation mit den Bullen noch irgendwelche Probleme? Möchtest du gern ausreisen oder lieber hier bleiben?“ Also es war von beiden Seiten ziemlich spaßig. Danach brachten sie uns in Sechser -Trupps zum Übergang Bahnhof Friedrichstraße. So wie wir waren, versypht, punkig oder sonstwie, verließen wir die DDR durch den Diplomatenübergang, nicht ohne daß die Grenzen uns baten, beim nächsten DDR-Besuch nicht wieder über die Mauer, sondern über die normalen Wege einzureisen.

Hättet ihr andere Grenzübergänge benutzen können?

Ja, aber sie haben uns empfohlen, die Friedrichstraße zu wählen, weil die Übergangsstelle nicht direkt unter westlicher Kontrolle steht. Es war klar, daß wir trotzdem im Westen kontrolliert würden. Unsere Absprachen klappten nicht, weil die Polizei systematisch U- und S-Bahn durchforstete und von all denen, die wie Bewohner des Dreiecks aussahen, die Personalien überprüfte.

Kann Honecker jetzt mit einem Blumenstrauß vom Kubat -Dreieck rechnen?

Das wohl nicht. Wir bedanken uns zwar offiziell bei der DDR für die faire Behandlung. Aber als guter Anarchist muß ich das einschränken, die DDR ist kein Paradies auf Erden. Nach meinem Eindruck waren die Grenzer von Anfang an relativ höflich, weil die DDR ein schlechtes Gewissen hat, daß sie dieses Gebiet für eine Riesensumme verscherbelt hat wohlwissend, was mit diesem Gebiet passieren wird.

Interview: Petra Bornhöft