Wiedergeboren bei der Heilsarmee

■ Mit Klavier, Charme und Melone / Glücklicher als Steffi Graf und reiner als Schnee

Die sonntägliche Versammlung der Bremer Heilsarmee ist - von den fünf Gläubigen einmal abgesehen - ein reiner Familienbetrieb. Der junge Ehemann, der freundliche blauuniformierte Korpsoffizier in Hosen ist zuständig für Klavierbegleitung und Predigt. Die junge Ehefrau, Offizierin von Beruf, leitet die ein-und ausklingenden Gesänge und Gebete an. Im Gegensatz zu ihrem Mann trägt sie auf ihren Hüften einen blauen Rock und auf ihren Locken eine kecke Melone. Das Baby Patrick ist hinten links im Kinderwagen plaziert. Ein etwas älteres Kleinkind schnarcht derweil leise in den Saal.

Der kleine „Korpssaal“ im Neustädter Geschworenenweg ist wohnlich eingerichtet, mit Topfpflanzen auf der Fensterbank und gemusterten Stuhlkissen, die mit kleinen Schnüren festgebunden sind. Nur da Emblem mutet weniger gemütlich an: „Blut und Feuer“ steht zu lesen.

1865 hatte ein englisches Ehepaar in den Londoner Elendsvierteln den „Kampf gegen Gottlosigkeit, Armut und Laster“ begonnen. Ihre „geistliche Streitmacht“ tauften sie „Heilsarmee“. Noch heute steht das „Hauptquartier“ in London, von hier befiehlt ein „General“ über 86 Länder.

Vom „Hauptquartier“ kriegt auch das kleine Bremer Korps Unterstützung, das aus eigener Kraft keine „Missionsstation“ in der Neustadt erhalten könnte. Bei wichtigen Versammlungen kommt das Blasorchester aus Hamburg zu Hilfe, sonst beschränkt sich das Bremer Korps auf Hausbesuche bei bedürftigen Mitgliedern und auf Auftritte in Kneipen, bei denen der „Kriegsruf“ für 60 Pfennig vertrieben wird. Und: Wer im Geschworenenweg klingelt, bekommt etwas Warmes zu essen.

Die versammelten Brüder und Schwestern sollten so strahlen wie Steffi Graf bei ihrem Wimbledon-Sieg, sagte ihnen gestern der Offizier, sie müßten sich sogar noch viel mehr freuen, da ihnen im Gegensatz zu dem Tennisstar und zum Ärger des Satans die Bekehrung, die Rettung, die Wiedergeburt gewiß sei.

„Haben sie ein reines Herz?“ fragt der predigende Ehemann sodann und spricht mit Bedauern davon, daß derjenige, der noch Reinheit und Enthaltsamkeit vor der Ehe praktiziere, heutzutage verlacht werde: „Reinheit gibt es nur noch bei Waschmitteln. Aber die Menschen mögen gerne kleine Babies, denn die haben den Dreck und Schmutz des Lebens noch nicht in sich aufgesogen.“ - Der nächste Refrain heißt dazu passend „Mach heilig und rein mich jetzt, weißer als Schnee“. Merkwürdigerweise versperrt ausgerechnet das relativ reine Kleinkind seine empfindlichen Ohren all diesem Rein-Gepredige und schläft genüßlich schnarchend weiter.

Barbara Debus