Wer stürzt wen oder was ein?

■ Die „Einstürzenden Neubauten“ gaben sich am Freitagabend hanseatisch kühl und kurz, so daß unser Kritiker Zeit genug hatte, im Schlachthof auch noch „Death Angel“ zu hören

Drei Mal ist Bremer Recht, dachten sich am Freitagabend wohl auch die Herren F.M. Einheit (dr'perc'body), N.U. Unruh (perc), Mark Chung (bass), Alexander Hacke (git) und Blixa Bargeld (voc, pseudogit). Abgesehen davon, daß sie nach 1981 und 1987 nun zum dritten Mal in Bremen gastierten, gaben sie sich auch sonst hanseatisch kühl und zurückhaltend. Der zündende Funke wollte einfach nicht überspringen auf das Publikum.

„Einstürzende Neubauten“ zeigten sich zunächst einmal rotzig und ruppig. Mark Chung (diesmal ohne seinen kleidsamen hochgesteckten Zopf und dafür mit sommerlich modischer Kurzhaarfrisur) riß an seinen Baßsaiten herum wie an einem Expander und schleuderte das Instrument dann krachend auf den Boden. Auch F.M. Einheit stellte seinen zugegeben muskelbepackten, untersetzten Oberkörper drohend und posierend zur Schau. Was immer ihm unter die Hände kam, es wurde brachial traktiert. Die große Blechplatte seiner Schlagzeug-Schießbude litt ebenso wie die blaue Plastiktonne, die er mit grimmigen Gesicht den ZuhörerInnen am Bühnenrand vor die Füße warf.

So wollte N.U. Unruh seinen Band-Kollegen natürlich nicht nachstehen und bearbeitete sein Percussionsgestell mit den scheppernden Spiralen und Stangen genauso unbarmherzig wie das Klanggerät, das wie etwas zwischen einer VHF-Antenne und einem Grill aussah. Der metallische

Klang erinnerte jedenfalls an einen kräftigen Fußtritt in das Innere eines kaputten Klaviers.

Blixa, von den Seiten und von unten mit Spots angestrahlt wie ein Schrottplatz-Rio-Reiser, konnte noch so oft seine beschwörende Formel „Zerstören“ in die Menge stöhnen, rufen oder keuchen. Die Besucherschar blieb stoisch. Weder die rhythmischen Krachstücke noch die wabernden Düsterklänge im abgedunkelten Saal vermochten die Menge vor dem Podium in Bewegung zu setzen. Vielleicht war es ihnen schlicht zu warm oder die souveräne Selbstinszenierung der martialischen Kaputt-Combo lief den meisten zu sauber und glatt ab. Es mag auch an der unpersönlichen Art der Neubauten gelegen haben, wie sie ihr altes und neues Geräuschmaterial präsentierten. Kein „Hallo“ oder „Tschüs“, keine Ansage und keine Reaktion. So verhalten die sinistren Kreisch-und Polterklänge der Instrumente und Percussionsobjekte ebenso wie Blixas Monsterschreie, die verdächtig nach Pink Floyds „Careful with that Axe, Eugene“ klangen.

„Mühe allein genügt nicht“, hätte das Motto des Abends lauten können, trotz „Ich bin's“ und „Keine Schönheit ohne Bestand“, trotz kleiner Ekelgeschichten von der Messerklinge im Mittelfinger und dem Blut im Ausguß, trotz „Das letzte Biest am Himmel“ oder wuchtigem Eisenrohrgestampfe und infernalischen Hintergrundrhythmen; nach etwas über einer Stunde hinterließen

„Einstürzende Neubauten“ nichts als den schrillen Ton einer Rückkoppelung. Das Publikum buhte nach Leibeskräften, doch was gibt es ernüchternderes als die plötzlich aufflackernde Saalbeleuchtung?

Allerhöchstens die Tatsache, daß es draußen noch hell war, als das Konzert im „Modernes“ beendet war. Zeit genug also, um noch auf einen Sprung im Schlachthof vorbeizuschauen. Dort tobte gerade die Heavy-Metal-Formation „Death Angel“ über die Bühnenbretter. Fünf langmähnige Musiker waren damit beschäftigt, die Stimmung ihres Publikums zum Kochen zu bringen. Vor der Bühne rockten viele lederbejackte, schweißnasse Jubler was das Zeug hielt und von oben warfen sich ständig die Fans langausgestreckt in die Menge. „Stage diving“ heißt dieser Sport und er wird offensichtlich auch von meterhohen Lautsprecherbühnen aus betrieben. Dabei verdienten sich die „stage hands“ wahrhaft handgreiflich ihren Namen.

Geradezu liebevoll rituell hockten sie wie magere Sumo -Ringer am Bühnenrand, um jedermann und -frau im hohen Bogen in die tanzende Horde zurück zu schleudern, sollten sie einmal ihren Fuß auf die Bretter gesetzt haben. Dazu gab es reichlich Trockeneis-Nebel und Speed-Metal ohne Unterlaß. Wem selbst das noch zu lahm war, konnte sich vor der Kesselhalle an einer eilig anberaumten Anti-Skin-Hatz beteiligen oder ganz einfach so viel

Bier in sich hineinschütten, bis Gut und Böse ohnehin untrennbar beieinander lagen. Die Schlachthof-Randale ließ zumindest zwei Fragen im Raum stehen. Wo sollten denn nun eigentlich Bauten zum Einsturz gebracht werden? Und von wem?

Jürgen Francke