Niemandsland

Nachtrag zum Mauersprung der Besetzer des Kubat-Dreiecks  ■ K O M M E N T A R

Als nun wieder einmal jenes Drama zwischen Polizeibrutalität und freier Besetzerrepublik inszeniert wurde und kurz vor dem Höhepunkt stand, entschied sich das Subjekt dieses metaphorischen Konfliktes für ein Frühstück. Wie bekannt, ließen sich die Besetzer des Kubat-Dreiecks am Freitag morgen in Berlin nicht räumen, sondern flüchteten über die Mauer, um sich anschließend von den DDR-Behörden bewirten zu lassen. Es war keine Flucht in die DDR, sondern eine Flucht aus dem Ernst der politischen Metaphorik. Ihr Abschiedswinken von der Mauerkrone war ein Gruß nach vorn. Sie betraten nicht den anderen deutschen Staat, sondern das Niemandsland. Ein historischer Schritt, der festgehalten werden muß. Das Niemandsland, ein Medium unbekannter Ausdehnung zwischen den deutschen Staaten, wird endlich virulent.

Deutsche Staatsgläubigkeit, auch die der Linken, verschwindet rückstandslos im schwarzen Loch dieses Niemandslandes. Die Mauer trennt nicht, sondern hält die beiden deutschen Staaten in zersetzender Nähe. Opfergang oder Mauersprung, Verhaftung oder Frühstück. Welche Chance, einen Ort in der Gesellschaft zu haben, von dem aus man einem Innensenator zurückwinken kann. Die Mauer, der teuerste Bau staatlicher Autorität, als Quelle antiautoritärer Phantasie. Die Politik mit dem Namen Die -Teilung-Überwinden ist in öden Annerkennungsritualen, Austausch- und Besuchsexerzitien steckengeblieben. Wie anregend und zukunftsreich könnte eine Politik des Mit-Der -Teilung-Spielens sein. Der Sprung ins Niemandsland, jenseits rechter Staatsgläubigkeit und linker Staatsfeindschaft, der gegenwärtige utopische Ort, in dem die politischen Vorzeichen bindungslos umherwirbeln wahrlich, die Mauer kann ungeahnte politische Möglichkeiten provozieren. Den Mauerspringern vom Freitag morgen verdanken wir eine Ahnung vom Reiz der dritten deutschen Dimension.

Klaus Hartung