Becker mit Überstunden ins Finale

■ Nach dem Erfolg gegen Lendl steht Stefan Edberg dem dritten Wimbledon-Erfolg im Wege

Berlin (taz) - Als er nach vorne lief ans Netz, um mit einem quasi en passant ins Feld gedrückten Volley den Matchgewinn perfekt zu machen, war Boris Becker mit dem Kopf nicht mehr so recht bei der Sache. Er patzte, nutzte auch die beiden folgenden Matchbälle gegen Ivan Lendl nicht, was diesem schließlich den Tie-Break und damit den dritten Satz brachte. Und weil es bereits zu dunkeln begann, mußten die beiden ihre Überstunden am Samstag ableisten, sozusagen das Vorspiel zur Auseinandersetzung Graf-Navratilova.

Was dieses zweite Halbfinale so in zeitlichen Verzug gebracht hatte, war das bislang unbekannte Gesicht des Stefan Edberg. Der Schwede, trotz seiner Position als Dritter der Weltrangliste, ist nicht gerade als Kämpfernatur bekannt, und es schien so, als sei auch er nicht mehr als ein angenehmer Spielpartner für Miloslav Mecir, der mit ganz besonderer Vorliebe schwedische Tennisspieler bezwingt.

Zwei Sätze hatte der Tschechoslowake gewonnen in einer überaus niveauvollen Partie, doch Edberg fügte sich nicht gewohnt schicksalsergeben. Zur besonderen Freude seines Trainers Tony Pickard: „Er ist kein Feigling. Er hat gezeigt, daß er Feuer im Bauch hat.“ Mecir hingegen hatte Schmerzen im Rücken, eine Verletzung, die ihn seit Monaten plagt und im Verlauf des Matchs zusehends behinderte.

Trotzdem, die beiden zeigten brillante Ballwechsel, und es dauerte seine Zeit, bis Edberg die Finalteilnahme sicher hatte: 4:6, 2:6, 6:4, 6:3, 6:4. Was danach kam, konnte die Zuschauer zunächst nur langweilen. Fehler von Becker, Fehler von Lendl, weniger Fehler bei Becker. Das reichte dem Leimener, die beiden ersten Sätze mit 6:4 und 6:3 für sich zu entscheiden.

Spannend zumindest war der Tie-Break des nächsten Satzes, den Lendl erst nach drei abgewehrten Matchbällen 10:8 gewann und der ihm eine Nacht Zeit brachte, sich die richtige Taktik auszutüfteln. Es sollte nichts nutzen, da er am Samstag durch eine beachtliche Schwäche beim Vorhand-Volley glänzte, was Becker weidlich nutze. Immerhin, auch an diesm Tag ließ dieser fünf Matchbälle verstreichen, rüttelte vor Zorn am Netz und rannte zur Beruhigung mit dem Kopf gegen die Umrandung. Ein 6:4 reichte dann, um gegen Edberg ins Finale zu ziehen.

Ivan Lendl hingegen ist ein weiteres mal sein großer Traum verwehrt: Wimbledon zu gewinnen. Er wächst beim Turnier des Londoner Vororts langsam in die Rolle des ewigen Verlieres, wie sie beispielsweise Raymond Poulidor bei der Tour de France einst so heldenhaft spielte. So soll es sein, aus solchem Stoff lassen sich Legenden schnitzen.

Thömmes