Heute mit der Missa nach Moskau

■ Internationale Ärzte verhüten mit Beethoven den Atomkrieg

Gestern spielte das „wunderbarste Orchester der Welt“ in der Berliner Philharmonie - nur einen Steinwurf entfernt vom Kubat-Dreieck an der Mauer. Heute spielt es in Moskau (Übertragung per Satellit, Mitschnitt auf CD) - übermorgen in Dresden, den Abend drauf in London - alles erste Adressen.

Es ist eine große Sache: jede Menge Spitzenmusiker auf Tournee, zusammengekommen aus über 35 Ländern aus Ost und West - allein in der ersten Geige duellieren sich acht Konzertmeister. Sie tun es für den Weltfrieden. Sie treten an mit Beethovens 'Missa Solemnis‘, und zwar im Auftrag der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Als dieser Verein vor drei Jahren den Friedensnobelpreis kriegte, knirschte es noch ein bißchen wg. kommunistischer Unterwanderung (Gründungsmitglied Tschasow, Leibarzt Breshnews, hatte was gegen Sacharow unterschrieben). Heute ist das vergeben und vergessen und die Ärzte haben sich längst zu einer globalen Konzertagentur gemausert, die „dem Wettrüsten immer wieder ein Stück Kultur entgegensetzt“.

Das muß was zu tun haben mit dem Albert Schweitzer -Syndrom. Seit der damals im Busch Bachchoräle spielte, gehören Musik, Mission und Medizin irgendwie zusammen: der Chirurg schabt nach Praxisschluß das Cello, der HNO schlägt privatim die Orgel, jedes Kaff hat sein Ärzteorchester. Wieso, weiß keiner - hundert Jahre zuvor war es ja eher der Juristenstand, der sich der Musica kollektiv in die Arme warf. Eines jedenfalls ist klar: Ärzte pflegen bevorzugt die ewigen Werte deutscher Klassik - wahrscheinlich, weil die so humanistisch sind.

Beethoven hat das 'Dona nobis pacem‘ in seiner Missa ausdrücklich mit der 'Bitte für inneren und äußeren Frieden‘ versehen. Frieden ist was Feines, zumal der innere, und besonders natürlich für Internisten aller Couleur. Auf der Pressekonferenz der IPPNW wurde deshalb größter Wert auf persönliche Friedfertigkeit gelegt - Dirigent Antal Dorati brachte die Weltpolitik kurzerhand auf die erfrischende Formel von der „allgemeinen Verdauungskrise des Lebens“. Aber Musik ist kein Kamillentee, erst recht nicht die von Beethoven. Wahrhaftig, sie sangen wie die Engel und spielten wie die Teufel in der Philharmonie. Ganz wie es sein muß, forderte das Chorvolk im 'Dona nobis‘ martialisch sein „Gib uns Fr...eiheit, sonst knallts“, blies der Solotrompeter so inbrünstig seine Revolutionsfanfare, als stünde er vor der Mauer von Jericho.

Das Kubat-Dreieck ist geräumt, das Weiße Haus telegrafierte nur mittellauwarm und Gorbis Stab hatte sowieso gerade besseres zu tun, als Grußadressen zu schicken. Sie sollten sich's nicht verdrießen lassen, die Ärzte: ihr Freizeitunternehmen nützt zwar nichts, aber schaden tut es doch auch nicht. Das ist mehr, als die meisten friedenspolitischen Initiativen von sich behaupten können. Als nächstes empfehlen wir einen satten Bach, z.B. in Beirut.

Elisabeth E. Bauer