Nur Jahrmarkt ist schöner - SPD feiert Geburtstag

Die SPD hat 125jähriges Jubiläum / Große Feier in Frankfurt / SPD-Promis riefen - 100.000 kamen / Luftballons und Talkshows statt Perspektivendiskussionen / Applaus für Rede eines ANC-Vertreters / Eppler nur Zuschauer / Brandt aus der Konserve  ■  Aus Frankfurt Michael Blum

„Zugabe, Zugabe“ rufen die 20.000 auf dem Frankfurter Opernplatz. Doch die kann Mikis Theodorakis, griechischer Komponist und Widerstandskämpfer gegen die Militärdiktatur nach einem zweistündigen Konzert nicht mehr geben: Hinter der Bühne warten bereits die SPD-Promis Vogel, Lafontaine, Rau, Hauff & Co. auf ihren Auftritt.

Die Frankfurter Innenstadt gleicht am Samstag einem Heerlager deutscher Sozialdemokratie: Anläßlich des 125jährigen Geburtstages hatte die Partei zu einem Fest nach Frankfurt gerufen und 100.000 kamen, laut Polizeibericht. Vom Opernplatz über die sündhaft teure Freßgasse bis hin zur Konstablerwache ist die City fest in sozialdemokratischer Hand. Zwischen Wahrsagern, Feuerschluckern und Jongleuren bringen „rote Winzer“ ihren Öko-Wein ans Volk, wird der Schafsmilchlikör zum Verkaufsschlager wird über Nicaragua -Kaffee informiert. Anti-Apartheid-Gruppen klären ebenso auf wie Dritte-Welt-Initiativen. Hochhäuser aus Bio-Teig wechseln als Protest gegen die Frankfurter CDU-Wohnbau -Politik für 2,50 Mark die Besitzer. Die Volksfürsorge bietet ebenso feil wie Klaus Staeck.

Neben Staecks Polit-Plakaten gibt es Bratwürste, Apfelweinschänken wechseln mit Biertresen, auch eine Schicki -Micki-Sektbar fehlt nicht. Dazwischen immer wieder SPD -Ortsvereine mit ihren Ständen, Seniorengruppen und Jugendinitiativen. Und schließlich allenthalben Talkshows und Diskussionsforen. „Politiker zum Anfassen“ hatte die SPD im Vorfeld angekündigt. Zwischen Kulinarischem und Literarischem standen sie Rede und Antwort: Oskar Lafontaine zur Steuerreform, Anke Fuchs zum Ausländerwahlrecht, die Hessen-SPD zur Kommunalpolitik. Allen voran Volker Hauff, mehrfacher Ex-Bundeskabinettsminister und gescheiterter Frankfurter Oberbürgermeister-Kandidat. Damit ihm dies bei der hessischen Kommunalwahl 1989 nicht erneut widerfährt, hatte die SPD nach Frankfurt geladen - zum Kommunalwahlauftakt sozusagen. Hauff stand im Mittelpunkt: als Konterfei von Plakaten, als Eröffnungsredner der Schlußkundgebung und als Bestandteil der Beiträge seiner GenossInnen. Enkel Oskar prophezeite, daß, „wenn Frankfurt rot wird, wird die Wende der Wende in der Republik möglich“.

Die „rote Heidi“ Wieczorek-Zeul fordert die Genossen auf, endlich „Ernst zu machen mit der Gleichstellung der Frauen in der SPD“. Zwischen den SPD-Genossinnen kommt Khwezi Kadalie, ANC-Vertreter, zu Wort, der den meisten Beifall an diesem Tag bekommt. Unter Regenschirmen applaudiert die SPD -Basis minutenlang, als er die Parteispitze zu einem verstärkten Kampf gegen die Unterstützung des südafrikanischen Rassistenregimes durch die Bundesrepublik aufruft.

Der ebenfalls gescheiterte Kanzler-Bewerber Rau dankt den „Hundertausenden an der Basis, die ein Magazin der Ideen in der SPD“ seien, was ihn zum Beklatschen der anwesenden BasisvertreterInnen verleitet, während die euphorisch zurückklatschen. Und am Parteivorsitzenden Vogel ist es schließlich, sich gegen Gelder für die Rüstung und für Investitionen in den Umweltschutz, in alternative Energien und in das soziale System auszusprechen. „Glück auf der deutschen Sozialdemokratie!“, endet Vogel traditionsreich. Mit tosendem Applaus danken es ihm die vom Nieselregen durchtränkten Zuhörer, und vergessen dabei, daß es ihre Partei war, die für den Pershing-Nachrüstungsbeschluß votierte.

Überhaupt gibt sich die SPD an diesem Tag geschichtslos: wäre da nicht ein Stand von der AG Verfolgter Sozialdemokraten, das Fest mit Luftballons, Karussells und miniaturhaften Riesenrädern ginge als 10jähriges Firmenjubiläum durch. Genosse Brandt wird auf einer Videowand aufbereitet - mit Aufzeichnungen aus dem sechziger Jahren. Und auch Parteivordenker wie Nachrüstungsgegner Eppler sind lediglich als Zuschauer gegenwärtig.

Am Abend schließlich geht es über den Volksfestcharakter hinaus: es gilt, Mut zu schöpfen. „Mut zur Aufklärung“ hieß die, von der Ex-SFB-Moderatorin und ehemaligen Rau -Wahlkämpferin Gisela Marx, moderierte Abschlußveranstaltung: Walter Jens, der Atomphysiker Dürr, die Kabarettisten Hüsch und Hildebrandt leiteten an zum „Mut zur Republik“, „Mut zur Ethik“, „Mut zur Geschichte“ und zum „Mut zum Umdenken“. Zwei Kilometer weiter prophezeiten die „Bots“ zeitgleich: „Das weiche Wasser bricht den Stein.“