Denkverbot für Ketzer in der HBV

Papier um Jugendarbeit löst heftige Abwehrreaktionen der linken Gewerkschaftstraditionalisten aus Verfasser ketzern gegen „Grundwiderspruch“ / Jugendliche selbst sollen in den Mittelpunkt gestellt werden  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Die Diskussion um die gewerkschaftliche Jugend- und Bildungsarbeit ist neu entbrannt und droht, administrativ wieder abgewürgt zu werden. „Lieber einen Doppelwhopper wie die AG-Proper“ - dieser Schüttelreim zierte Mitte Mai die Toilette im Tagungshaus der Landesbezirkskonferenz der hessischen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV). Ätzender Hohn und mißgünstige Kritik richten sich gegen ein Diskussionspapier, das Ende April von einigen Aktiven des HBV-Bildungsbereichs formuliert wurde und das versucht, die jahrelange sterile Blockade zwischen unterschiedlichen Lagern der gewerkschaftlichen Jugendbildungsarbeit mit neuen Ansätzen aufzulockern.

Die Autoren dieses Papiers sind inzwischen heftig unter den Druck jener Funktionäre geraten, die - fest im Lager der linken Gewißheiten verankert - den Jugendlichen das richtige Bewußtsein über den Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital beizubringen versuchen. Besonders in der Industriegewerkschaft Metall und in der HBV wurde Bildungsarbeit bisher nach diesem traditionslinken Schema betrieben: trotz aller konkreten Mißerfolge, trotz der Ergebnisse einer vom DGB in Auftrag gegebenen Untersuchung des Göttinger Forschungsinstituts SOFI.

Fazit der Sozialwissenschaftler: Der Betrieb ist nicht mehr der primär identitätsstiftende Lebensbereich für die meisten jungen Leute. Eine Jugendarbeit, die allein und dann noch abstrakt („Lohnarbeit und Kapital“) den Betrieb in den Mittelpunkt stellt, geht deshalb an den Jugendlichen vorbei.

Ausgerechnet in der HBV haben nun vier Leute „Probleme und Perspektiven (Proper) der gewerkschaftlichen Jugendbildungsarbeit“ neu diskutiert. Sie kamen zu einer für die Traditionslinke ketzerischen Aussage: „Inhaltlicher Dreh - und Angelpunkt kann dabei gerade nicht der vielbeschworene 'Grundwiderspruch‘ sein“, weil dies politische Interessen und Kenntnisse voraussetze, die es doch erst zu erarbeiten gelte. Die Gruppe schlägt statt dessen vor, die vorfindlichen Interessen der Jugendlichen, so wie sie sie selbst äußern, in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen und zum Ausgangspunkt für Diskussions- und Politisierungsprozesse zu machen. Als Motto schwebt ihnen ein „modifizierter Marx“ vor: „Geschichte wird selbst gemacht, ob mit oder ohne Bewußtsein - zum eigenen Vorteil, nur mit Engagement und Risiko.“