VORSICHT STEINSCHLAG!

■ Cecil Taylor mit „European Bigband“ und mit Louis Moholo

Ein amorphes Klangkonglomerat umhüllt und weist einen den Weg. Alle Interpreten da oben scheinen ihr eigenes Liedchen vor sich hinzutröten. In kleinen Grüppchen würden sie sicher Hörenswertes zustande bringen - so jedenfalls ist nicht viel mehr als Lärmkulisse. Aber ist ja auch egal, denn mittlerweile haben sich andere Lärmquellen eingemischt. Also rein in die Kongreßhalle. Ein amorphes Klangkonglomerat umhüllt einen, alle Interpreten scheinen...

Genau so war's. Links außen bearbeitete Cecil Taylor den Flügel, rechts außen ballerte Han Bennink auf dem Schlagzeug herum, hinten links stand Gunter Hampel hinterm Vibraphon, rechts neben ihm William Parker am Baß. Davor aber standen noch 13 andere Herren, die auch nicht darauf verzichten wollten, Lärm zu machen; zu diesem Zweck hatten sie sich zumeist mit Blasinstrumenten ausgerüstet. Gunter Hampel hatte von Anfang an keine Chance. So ein Vibraphon ist einfach zu leise. Cecil Taylor machte, was er wollte, man ließ ihm aber auch keine andere Wahl: mannschaftsdienliches Spiel war nicht, denn sobald ein Grüppchen zu einem gemeinsamen Aufbau gefunden hatte (Anregungen dazu gingen häufig von Han Bennink aus), stürzten sich andere darauf und zerpusteten ihn in alle Richtungen. Nein, so ging das irgendwie nicht.

William Parker gehörte zu denen, die einfach mal eine Pause einlegten, sich umsahen und -horchten, um einen neuen Ansatzpunkt zu finden, und auch Peter Brötzmann tat dies. Er hatte es allerdings auch nötig: wenn er lospustet, fliegen die anderen immer ein Stück zur Seite, er braucht dazu nur ganz wenige Töne. Er hat nun mal diesen einmaligen, bulligen, vierschrötigen Luftzug. Die Hoffnungen verdichteten sich irgendwann auf leise, filigrane Gebilde, musikalischen Leichtbau - doch da kam nichts. Da half nur noch Selbsthilfe. Und als ich gerade einen Fuß vor die Tür gesetzt hatte, hörte ich plötzlich ein „Pling“. Cecil Taylor hatte den Schlußpunkt gesetzt, und alle waren sich einig: im Aufhören. Der schönste Moment des Konzertes - und ich habe ihn verpaßt.

Wie zutreffend war das Dings mit den Köchen und dem Brei doch wieder gewesen. Der Gegenbeweis folgte zwei Tage später. Nur zwei waren da am Rühren: Cecil Taylor und Louis Moholo (Schlagzeug). Aber eigentlich hatte das weniger mit Kochen zu tun. Es war eine Balgerei. Zwei Männer stürmten einen steilen Abhang hinunter, in rasendem Tempo und ohne sich die Knochen zu brechen. Cecil Taylor vollführte dabei wilde Sprünge. Man muß ihm auf die Finger sehen! Sie schwebten und hüpften über die Tasten, er ließ sie ballettanzen zwischen Pas de Deux und Pogo. Aber eigentlich ist Cecil Taylor ein eigensinniger Querkopf, er hat sein Sprungtempo und läßt sich schwer davon abbringen. Louis Moholo ließ ihn vorpreschen und bremste ihn dann wieder sachte. Manchmal hielten beide an, Taylor griff nach einer der Melodien, die überall herumlagen, schnippste sie in die Luft, zerpflückte sie oder warf sie einfach weg, wenn sie ihm zu langweilig geworden war. Moholo rollte ihm einen Teppich aus Kieselsteinen aus, zwischen die er immer mal wieder einen größeren Stein packte. Taylor ließ ein paar Brocken draufklimpern, Moholo rührte feinen Sand dazwischen. Es entstanden Gebilde voller Leichtigkeit, die zu Lawinen anschwollen oder in sich zusammenkrachten oder auseinanderbröselten.

Es blieb spannend, jeden Augenblick bis zum Schlußpunkt, den wieder Cecil Taylor setzte. Es war klar, daß man jetzt die beiden nicht so ohne weiteres gehen lassen würde, und so verabredeten sie als Zugabe noch ein wenig filigranen Leichtbau, der zwei Tage vorher so sehr gefehlt hatte.

Michael Vahlsing