Nehmet hin und esset

■ Verzehren die Christen beim Abendmahle den Leib Christi? In Berlin findet heute ein Prozeß gegen eine taz-Redakteurin statt. Die Anklage lautet auf „Beschimpfung des Inhaltes eines religiösen Bekenntnisses“.

Gourmands und Gourmets - Gut abgehangen am Kreuz ist er allgegenwärtig. Zum Osterfest einige Tips, was etwas kultiviertere Küchen daraus machen würden“ titelte die taz an Ostern '87. Es folgte ein wissenschaftlicher Text aus einem 1974 beim Rowohlt-Verlag erschienenen Werk über „Menschen essen Menschen“, in dem der Autor sich auf die Suche nach der menschengeschichtlichen Bedeutung des „Kannibalismus“ (Antropophagie) begab und sich nicht scheute, Einzelheiten „kannibalischer Riten“ zu beschreiben.

Illustriert wurden die Seiten durch drei Karrikaturen. Dem Artikel vorangestellt war eine Zeichnung, die die Anklageschrift mit folgenden Worten beschreibt: Es werden „fünf männliche Personen dargestellt..., die offensichtlich eine zuvor mittels Nägeln gekreuzigte, mit einer Dornenkrone versehene Person verspeist haben. Auf dem Kreuz, das noch auf der abgegessenen Tafel liegt, sieht der Betrachter zwei eingeschlagene und einen losen Nagel liegen. Eine Dornenkrone und zwei abgenagte Knochen befinden sich neben dem Kreuz. Während eine feist aussehende Person, die noch an der Tafel sitzt und vor der ein blutverschmierter Kelch steht, einer sich verabschiedenden Person zuwinkt, nimmt eine andere Person genießerisch noch auf dem Kreuz befindliches Blut mit dem Finger auf.“ Weitere feiste Herren verlassen gerade im Bildhintergrund den Ort der Völlerei, ein Marienbildnis mit Kind belächelt die Szene. Ein anders Bild zeigt eine Kirche, in die die Gläubigen hereindrängen, und an der ein Wimpel, Messer und Gabel gekreuzt, zum Mahle einlädt. Ein drittes Bild zeigt einen feisten Mönch, der schwer beladen mit einem Kreuz und einem gefüllten Weinglas daherkommt. Im Hintergrund sorgt ein Küchenofen mit vier Kerzen für festliche Stimmung.

Artikel und Zeichnungen erbosten den Generalvikar des Bischofs von Berlin und den Bayerischen Philologenverband, die Strafanzeige gegen die taz erstatteten. Der 'Bayernkurier‘ geißelte die „widerwärtige Unerhörtheit“: „Müssen sich christlich orientierte Menschen so etwas gefallen lassen?“ Der Staatsanwalt, selbst noch nicht ganz überzeugt und offensichtlich mit der Eucharistie (Abendmahl) nicht recht vertraut, fragte beim Berliner Bischof vorsichtshalber erstmal nach, ob denn der Text bereits an anderer Stelle einmal veröffentlicht war. Bischöfliche Antwort nach dreimonatiger Suche: „müssen wir ihnen leider mitteilen, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, festzustellen, ob der dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Artikel bereits früher schon einmal veröffentlicht worden ist.“ Besorgt weist der Bischof jedoch darauf hin, daß auch Publikationen von Autoren des 19. Jahrhunderts bei der Abfassung des Artikels herangezogen worden sein könnten.

Den Verantwortlichen, so daraufhin der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift, sei es nicht darauf angekommen, sich mit theologischen Fragen auseinanderzusetzen. Sie wollten vielmehr einzig die christlichen Lehren und Gebräuche beschimpfen. Und das sei strafbar!

Bibel- und katechismusfest ist der gute Herr Staatsanwalt nicht: Tatsächlich verzehren die Christen beim Abendmahle nicht Oblate und Wein, wie ich als Kind einmal dachte, sondern Oblate und Wein, in einem Prozeß der „Transsubstantiation“ in Leib und Blut Christi verwandelt. Im neuesten katholischen Erwachsenenkathechismus finden sich zum heiligen Abendmahl deutliche Worte: „Die wahre und wirkliche Gegenwart Jesu Christi unter den Gestalten von Brot und Wein ist nach der Glaubenslehre der Kirche begründet in dem Wort Jesu 'Das ist mein Leib‘ - 'Das ist mein Blut‘ (Mk 14,22,24 par). Leib meint im semitischen Sprachgebrauch nicht nur einen Teil am Menschen, sondern die ganze konkret-leibhaftige Person.“ „So ist das Sprechen des Einsetzungsberichtes ein im Namen und in der Person Jesu Christi gesprochenes Segensgebet über Brot und Wein, durch welches unter den Gestalten von Brot und Wein Leib und Blut Jesu Christi, d. h. die konkret leibhaftige Person Jesu in ihrer Selbsthingabe für uns gegenwärtig wird.“ Diese deutliche Wahrheit machte es einem Schweizer Vegetarier schwer, noch am Abendmahle teilzunehmen. Seine Anfragen beim Oberhirten der Diozöse Basel Anfang der 80er Jahre, ob er denn als Christ und Vegetarier am Abendmahl teilnehmen dürfe, konnte der Oberhirte nicht schlüssig beantworten. Der Mann mußte jahrelang korrespondieren, bis er auf die Idee kam, einen Lebensmittelchemiker zu beauftragen. Dieser stellte fest, daß während des Abendmahles chemisch nachweisbare „Transsubstatiationen“ nicht festzustellen sind.

Wem noch Zweifel bleiben, daß der Christenmensch den Leib Christi verspeist, der versenke sich zur weiteren Erhellung in historische Dogmenstreitereien, bei denen es auch in dieser Frage oftmals um Leben und Tod ging. Bischof Berengar von Tours etwa mußte im Jahre 1059 seine Schriften verbrennen, in denen die „Realpräsenz“ Christi während des Abendmahles geleugnet wurde. Berengar gab damals noch eine Erklärung ab, um nicht selbst auf dem Scheiterhaufen zu landen: Der Leib Christi im Abendmahl wird „in sinnfällig dinglicher Weise, nicht nur sakramental, sondern in Wirklichkeit von den Händen der Priester berührt und gebrochen und von den Zähnen der Gläubigen zermalmt.“ Dem Manne ward mit der Erklärung geholfen, er starb im Frieden mit seiner Kirche.

Und der taz: Wird es ihr heute beim Schöffengericht Berlin helfen, darauf hinzuweisen, daß das christliche Abendmahl in religionsgeschichtlicher Kontinuität von Formen des Menschenverzehrs steht, die immer religiösen Charakter hatten? Karl Heinz Deschner hat dies in seinem Buch „Der gefälschte Glaube“ nachgewiesen. Vor ihm sind schon Legionen von Geistes- und Religionswissenschaftlern auf diese Idee gekommen, wie etwa Fritz Heiler, Gustav Wyneken. Der Staatsanwalt wird viel zu tun haben, zeitgenössische und historische Literatur zu indizieren, die diese These verbreitet. Eines sollte man ihm bei dieser herkulesischen Aufgabe auf den Weg geben: Wenn Deschner nicht irrt, so ist das heilige Abendmahl ausgerechnet eine Erfindung des einzigen Apostels, der selbst nie Jesu gedient hat. Paulus, gerade vom Saulus geläutert, hat sich vielleicht dabei nicht ganz seiner heidnischen Überzeugungen entledigen wollen. Er allein, und weder der Herr noch die übrigen Kollegen, inszenierte neutestamentarisch das Abendmahl.

Jonny Eisenberg