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Computergraphik in Echtzeit und Farbe

■ Zum erstenmal an der Universität: die drei „Bremer Computergraphiktage 1988“ / Wie junge Herren auf feinsten Farb-Bildschirmen Gummibällchen, Flugkörper und Handknochen drehen, wenden und auch auftitschen lassen

Stellen Sie sich einen Farb-Bildschirm vom Feinsten vor. Der ist und bleibt platt. Dann springt ein lila vieleckiger Körper - so wie ein kantiger Gummiball - plastisch wie zum Anfassen in einer Art grauer Squash-Zelle hoch, wirft seinen schwarzen Schatten unter sich, titscht mitsamt dem kleiner werdenen Schatten auf der Kante zwischen Wand und Boden wieder auf, verformt sich dabei unten platt, springt wieder hoch - und zwar 'in Echtzeit‘! Das heißt: So schnell, wie der vorführende junge Mann das Steuerkästchen auf dem Tisch hin- und her-, hoch- und 'runterbewegt, folgt der Ball in derselben Zeit auf dem Schirm. Das Ganze ist aber weder trickgezeichnet noch gefilmt,

sondern wird jede Sekunde mit allen Daten neu errechnet: auf dem handkoffergroßen Computer der neuen Größengeneration „Workstation“ zwischen PC und Mini-Rechner. Der vorführende junge Mann richtet auch ganz nach Wunsch verschiedene, farbige Lichtquellen auf das muntere Bällchen oder läßt kurz das Vieleck zum Skelett abspecken, um all die einzelnen Flächen zu zeigen, aus denen sich die Berechnung für Lichtreflexe, Schatten und Stauchung zusammensetzt.

„Wozu“ - das scheint da eine ganz und gar unpassende Frage zu sein. Der lila Flummi an sich interessiert Eingeweihte ebensowenig wie die Autos, Handknochen, Zahnräder und Flugzeuge, die

sich auf den benachbarten Computern bewegen, beleuchten, durchschneiden, vergrößern und um eigene und fremde Achsen drehen lassen.

An drei „Bremer Computergrafik-Tagen 1988“ von Montag bis heute sind zum erstenmal aus der ganzen Bundesrepublik rund 100 junge Herren aus Forschung, Wissenschaft und Industrie an die Bremer Universität gekommen, um Erfahrungen auszutauschen und um zu sehen, was die anderen wissen. Gestern ging es um Produkt-Präsentation. Die Computer -Hersteller, die übrigens als Sponsoren für Kaffee, Kabel und Koordination ein paar Spenden für die sonst kosten -neutrale Tagung in die Uni-Kasse hatten flie

ßen lassen, wollten für ihre Geräte werben und zeigen, daß keins schneller, deutlicher, dreidimensionaler und farbiger rechnet als das ihre. Anwender wie MBB/Erno und Krupp Atlas Elektronik sind am neuesten Stand interessiert, die Fachmänner möchten am liebsten untereinander den ganzen Tag über pixel-libraries, multitasking und rendering reden und hören.

„Für eine wissenschaftliche Tagung ist die Resonanz riesengroß, die Leute sind aus München, Bonn und Berlin gekommen“, freut sich Hartmut Jürgens vom Bremer „Institut für dynamische Systeme“, der zusammen mit dem Kollegen Dietmar Saupe den Kongreß organisiert hat. Das

Eingangslogo von Buten & Binnen, wo sich die Weltkugel computersimuliert in Kontinente, Staaten und zuletzt Bremen auflöst, stammt aus seinem Institut.

Architekten können mit solchen Systemen ihre Zeichentische abschaffen und die Kunden per Bildschirm gleich an die Hand nehmen und durch die Tür durchs neue Haus führen, Wände versetzen und Fenster vergrößern, blaue Teppichböden oder weiße Marmorfliesen verlegen, Kühlschränke aufstellen und prüfen, ob nun die Küchentür noch aufgeht. An einem 15 -Millionen-Flug-Simulator üben schon heute am Bremer Flughafen die künftigen PilotInnen Starts und Landungen: Die auswärtigen Gäste

unternahmen gestern eine Besichtigung bei Lufthansa. Bei Krupp Atlas Elektronik gibt es einen der wenigen Schiffsführer-Simulatoren der Welt. Und an Panzerführungs -Simulatoren können Soldaten auch schießen lernen. „Das Militärische ist bei den Simulatoren bestimmt fast die Hauptanwendung“, gesteht Jürgens zu, „eigentlich lehnen wir aber militärische Anwendung ab.“ Aber vortragen dürfen und sollen auf dem Kongreß auch ruhig die militärischen Anwender. Für Uneingeweihte ist kaum zu erkennen, hinter welchen Vorträgen sich das militärische know-how verbirgt. Jürgens: „Man muß doch gegenseitig Bescheid wissen, wer was weiß!“ Susanne Paa

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