Lebenszeichen

■ Briefe an die Redaktion (8)

Anton und Eva haben sich lieb. Anton liebt Evas Haare weil sie wild herumstehen, Evas Strümpfe weil sich ihre Beine darin schön anfassen, Evas Möse weil sein Schwanz sich darin wohlfühlt. Eva liebt Antons ehrliches Bayerisch, daß einer ist wo sich keinen Schmarrn erzählen läßt und daß sie in ihm einen hat, wo im Frühling mit ihr nachts durch die Straßen lauft und böse Sprüche an die Häuserwände sprüht.

Anton und Eva hassen Schicki-Micki-Kneipen wo ein Bier nicht mal eines nur null komma vier viermarkfuffzich kostet und die Leute sich langweilen, Touristen, die sich dumm und blöde in ihren Lieblingsbiergärten fettmachen, den westdeutschen Imperialismus und zu kurz gekochte Frühstückseier.

Eva haßt außerdem auch Kaufhäuser, wo nur Neonlicht und Rieselmusik ist und kaufgeile Damen Kosmetik kaufen, die wo von den gleichen Konzernen gemacht wird, die wo auch Giftgas herstellen. Denn Eva hat mal ein halbes Jahr in so einem Kaufhaus Kosmetik verkaufen müssen, den ganzen Tag im Neonlicht und scheißschlecht bezahlt.

Anton haßt gerade besonders den Knast in Stadelheim, weil sie dort gerade seinen besten Freund Franz eingesperrt haben und zwar wegen Heroin. Und das haßt er auch, das den Franz so verblödet hat, das ers nicht mehr geschnallt hat, daß die Bullen ihm drauf waren. Warum der Franz auf das Scheißzeug reingefallen ist? Mei, weil ers nimmer ausgehalten hat, das Ganze.

Das Ganze? Das ganze Scheißleben is doch kein Scheißleben, aber fürn Franz, weil er keinen Mut mehr ghabt hat, weil er vom Fenster von seinem Kammerl rausgschaut hat und an die anderen Fenster is nie wer gewesen. Und die Frauen, die nachts mit ihm gschlafen haben, haben morgens einen spitzen Mund gemacht und Lippenstift sich drauf gemalt und kokett geschielt. Und nach sieben Monaten besoffen im Englischen Garten rumhängen isses bsoffn rumhängen und der Chinesische Turm auch schon a so langweilig gworden und von die andern hat keiner mehr an neuen Spaß gwußt. Und schreiend durch die Straßen hätt er rennen mögen, nüchtern in der Früh, weil niemand was fühlt und niemand was sieht und die Sozialamtstussi auch nicht ein Geld nicht mehr hergibt, da hat ers halt probiert das Glump, und gut isses ihm gegangen plötzlich wieder, also hat ers öfters genommen...

Morgens früh isses halb sieben und der Wecker klingelt und Anton muß zur Arbeit. Aber Eva mag die warme Schulter nicht von ihren Lippen weglassen. Und grad hat sie noch geträumt, daß alles wirr und unverständlich ist, daß die Lippenstifte walzertanzen und ganz fremde Männer mit toten Augen sie in die Brustwarzen kneifen. Warum tanzen diese verhassten Lippenstifte warum tanzen die sauteuren Parfümflakongs warum sind die Menschen starr und steif?

Anton?

Scheiße ich muß an die Arbeit. Alle Tag der gleiche Schmarrn und dann lieste in der azin der S-Bahn, daß der Liebesakt am Morgen der schönste is und möchtest nur noch die ganze Welt derschießen, die Journaillenschnösels wo wahrscheinlich bis um elfe schlafen täglichst und dann sonen Schmarren schreiben und die freundlich Halbsozialistischenchefs, die wo schon gern eine Gerechtigkeit haben möchten auf der Welt aber eine Ordnung halt auch und ein kleiner Betrieb verdient nunmal nix wenner nich mit den großen Konzernen zusammenarbeitet...

Und für Siemens und BMW und MAN arbeitest du praktisch immer wenn du in dieser Stadt arbeitest ... denen gehört doch die Stadt... Und ganz pünktlich mußte ja nich immer sein, aber dreimal in der Woche zu spät, so gehts ja wohl auch nicht oder? Heulen möchteste und schreien und tust doch nur ingrimmig dein Gegenüber in der S-Bahn anstarren...

Fidio