Sprachlicher Ausrutscher?-betr.: "Nach Israel per Dienstanweisung", taz vom 28.6.88

betr.: „Nach Israel per Dienstanweisung“, taz vom 28.6.88

Verschiedene Hinweise von Freunden auf antisemitische Untertöne in der Israel-Berichterstattung der taz habe ich bisher als übertrieben abgetan. Und auch der „Reich-Ranitzky -freien 'FAZ'“ mochte man zugute halten, daß kritische Seitenhiebe und Tiefschläge, so sie wirklich treffen sollen, eben nicht von der semantischen „Keimfreiheit“ diplomatischer Statements leben. Der Bericht des Herrn Siegler über den Nürnberger Konflikt um eine Israel-Reise kommt aber derart infam daher, daß man nicht mehr an sprachliche Ausrutscher oder Gedankenfaulheit glauben kann. Der hat sich was gedacht, und daß eure Zeitung dem Leser diese Gedankenfäulnis auch noch unterjubeln will, ist ein Skandal.

Das „Wegsehen“ des beflissenen Philosemitismus angesichts der Palästinenserpolitik Israels hat sehr viel zu tun mit dem „Wegsehen“ des mitläuferischen Antisemitismus angesichts der Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich. Daß Jugendbetreuer bei einer Israel-Reise nicht „wegsehen“ wollen, ist richtig. Daß der Bericht über den Nürnberger Konflikt in der taz mit antisemitischen Ressentiments aufgeladen wird, ist eine Schweinerei.

Herr Siegler weiß sehr gut, daß Nürnberg im Dritten Reich eine „besondere Stellung“ einnahm, wie er es vornehm umschreibt. Und er teilt uns auch mit, daß Nürnberg Bayerns einzige größere Stadt ist, die Beziehungen zu Israel unterhält. Warum wohl? Wahrscheinlich, weil Nürnberg die Partnerschaft zu einer israelischen Stadt so „lang ersehnt“ hat, wie er es ausdrückt. Womöglich haben sie sich gar angebiedert, Herr Siegler? Nein, noch treffender ist es im Untertitel des Berichts auf den Begriff gebracht: „Nürnberg mauschelt um Partnerschaft.“ Oder stammt der Untertitel von einem kongenialen Redakteur? Mittlerweile ist man fast geneigt, letzteres anzunehmen.

(...) Wahrscheinlich ist gerade dieses Wort rein zufällig in den Zwischentitel zu einem Israel-bezogenen Bericht geraten? Diese Wortwahl hat nichts mehr mit Schnoddrigkeit oder Tabubruch zu tun - sie ist auch durch den Sachverhalt überhaupt nicht zu rechtfertigen -, sondern gehört schlicht und einfach in den Bereich der ganz „normalen“ antisemitischen Hetze, sozusagen des schönen Brauchtums unseres Volkes. (...)

Michael Denis, Frankfurt am Main 1