: Erpresste Versöhnung
■ Ein Interview mit dem amerikanischen Ideenhistoriker Martin Jay, Verfasser einer Geschichte der 'Kritischen Theorie‘
Ökologische Krise, Ausbeutung der Natur, Selbstmanipulations- und Selbstzerstörungspotentiale des Menschen. Ist es das abendländisch-rationale Denken, das uns in diese Sackgassen geführt hat? Immer mehr Menschen glauben dies und wenden sich ab, hin zu ganzheitlichem Denken, zu neuen spirituellen Richtungen. „New Age“ macht Karriere. Auf dem umstrittenen Kongreßspektakel „Geist & Natur“ in Hannover wurde die Konfrontation von „westlichem“ und „fernöstlichem“ Denken gesucht. Der Historiker Martin Jay lehrt in Berkeley, Kalifornien, er gilt als der „amerikanische Habermas“. Der einzige Vertreter der sog. „kritischen Theorie“ auf dem Kongreß formuliert eine weitgehend eigene Position. Jan Lerch sprach mit ihm.
Interkulturelles und interreligiöses Gespräch in Hannover. Ist so etwas nötig?
Ein Bedürfnis nach mehr Kommunikation gibt es wohl immer. Und Sie wissen, daß ich mit Habermas an die „kommunikative Rationalität“ glaube. Doch unklar ist, ob die Leute, wenn sie miteinander reden, auch wirklich miteinander kommunizieren. Hier auf dem Kongreß fehlt oft der „kritische Dialog“, die verschiedenen Positionen und Gegensätze werden nicht ernsthaft überprüft. Die intellektuelle Konfrontation kommt zu kurz.
Die Wissenschaftler sind vorsichtig miteinander?
Ja, ich glaube, viele Wissenschaftler versuchen ein größeres Publikum, die Laien, zu erreichen. Die wissenschaftliche Argumentation ist weniger genau und streng als beispielsweise auf einem Fachkongreß. Man ist freundlich, harmonisch und kooperativ.
Gilt das nur für die herkömmlichen, universitären Wissenschaftler?
Nein, das gilt auch für die Leute auf der anderen Seite des Zauns, die Spiritualisten, die die östlichen Religionen repräsentieren und deren Positionen meines Erachtens unvereinbar mit Wissenschaft sind.
Der Kongreß sucht die große Harmonie?
Auf dem Kongreß wird versucht, die verbindenden Elemente hervorzuheben. Und natürlich haben Ost und West vieles einander zu zeigen, keine Frage. Aber genauso klar ist, um die Diskussion voranzubringen, muß die Ebene allgemeiner Platitüden, schillernder Gedanken über Harmonie und höheres Bewußtsein verlassen werden.
Wie könnten denn diese beiden Weltbilder zusammengefügt werden?
Ich bin nicht überzeugt, daß verschiedene Denkarten - die man, wenn es unbedingt sein muß, als „östliche“ und „westliche“ bezeichnen kann - miteinander vereinbar sind. Es gibt einfach keinen Grund anzunehmen, daß menschliche Kultur in einer absolut harmonischen Weise zusammengeführt werden kann. Dabei sollten wir auch nicht vergessen, daß „Kultur“ ein Abstraktum ist, tatsächlich handelt es sich um eine Vielzahl verschiedener Kulturen, kultureller Entwicklungen ... Was soll eine „globale Einheit“? Solch eine Einheit würde wohl nichts anderes sein als der Sieg der einen über die andere Tradition. Adorno nannte das in Anspielung auf Lukacs „erpreßte Versöhnung“.
Was folgt daraus?
Man sollte die Unterschiede sehen und versuchen, mit der Differenz, der Pluralität, der - wie ich es nennen würde kulturellen Differenzierung zu leben.
So manches mal scheint es auf diesem Kongreß auch so, als gäbe es nur ein „entweder-oder“ der Kulturen.
Die entweder-oder-Logik ist in sich problematisch. Außerdem sind diese Traditionen ja nicht absolut, sie sind nicht isoliert, abgeschirmt. Wir hatten Jahrhunderte des Austausches, der gegenseitigen Beeinflussung. Westliche Denker waren an östlichen Ideen interessiert, der Osten ist von westlicher Wissenschaft und Technologie durchdrungen. Wir leben sozusagen in einem „globalen Dorf“. Entweder-oder kann nicht die Argumentation sein.
Also doch höhere Synthese?
Nein, aber wir sollten andererseits nicht zu schnell auf eine Aufhebung des Entweder-oder drängen. Solche Wege einer Idee der Aufhebung, wie sie in der Hegelschen und anderen Traditionen der Synthese gefordert werden, tendieren dazu, die Eigenheiten des Menschen und ihre Traditionen zu opfern im Namen eines höheren Dritten. Es gilt, mit uns unvereinbaren Traditionen, mit einer anderen Auffassung von Natur, von politischen und sozialen Fragen, einen Platz zu bewahren.
Die Leute reden vom toleranten Pluralismus, ohne die Spannungen zu sehen, die zwischen ihrem Reden von Pluralismus und ihrer Sehnsucht nach ganzheitlicher Einheit, nach perfekter Harmonie auf einem höheren Niveau der Aufhebung, liegen.
Es werden viele historische Vorträge gehalten, von Zukunft, geschweige denn Zukunftsentwürfen, ist kaum die Rede.
Erstmal, es gibt hier wenige wirklich historische Analysen. Das sind hier „nutzhistorische“ Analysen in bezug auf die Geschichte der Menschheit, des Bewußtseins etc.: Die Leute wollen Philosophien der Geschichte entwickeln.
Sie reden von den ersten Anfängen der Geschichte, haben zwei oder drei grob entwickelte Vorstellungen, die irgendwie Gestalt-Wechsel beinhalten und dann kommen sie zu einem Zeitalter, das gerade anbricht. Das ist für mich kein historisches Denken.
Was ist es dann?
Das ist eine Art von halb-mythischer, metahistorischer Denkweise. Damit einher geht oft der Glaube, wir erreichten nun ein „Zeitalter des Übergangs“. Dazu fällt mir ein alter Historiker-Witz ein: Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, da sagte Adam zu Eva: „Wir erreichen nun ein Zeitalter des Übergangs“. Geschichte ist immer Übergang, es gibt keinen radikalen Bruch.
Wie ist es mit den fehlenden Zukunftsentwürfen?
Ja, Sie haben recht, es gibt hier keine Futurologie, keine Offenbarungen, wohin wir gehen werden. Mit gutem Grund. Die Leute haben gelernt, daß doch immer alles anders kommt. Was Habermas „die neue Unübersichtlichkeit“ nannte, heißt, daß wir wirklich keine Ahnung haben, wohin die Erde steuert, noch nicht einmal, wohin die europäische und amerikanische Kultur steuert. Außerdem wollen die Leute sich in ein paar Jahren nicht mit ihren eigenen - falschen - Prognosen konfrontiert sehen.
„New Age“ Denken spielt hier eine große Rolle. Bewußtseinswandel durch Meditation. Ein politischer Weg?
Ich bin sicher, daß Meditation ein Weg für manche Leute sein kann, um zu einer bestimmten Art persönlicher Zufriedenheit zu gelangen oder persönliche Probleme zu lösen. Aber ich glaube, sie gibt uns nicht die Antworten auf unsere sozialen, politischen und gesellschaftlichen Probleme. Wenn dabei nicht auch kritische Rationalität gebracht wird, sehe ich ernstliche Schwierigkeiten. Der westliche Rationalismus hat großartige Instrumente, die in all ihren Ausprägungen genutzt werden müssen. Aber Meditation kann eine Ergänzung sein. Eigentlich sollte ich lieber ruhig sein, ich meditiere selbst nicht und kann es nicht wirklich beurteilen.
Aber hat der „großartige“ Rationalismus nicht abgewirtschaftet?
Oft gibt es vereinfachende Auffassungen von Kontemplation, Meditation und Mythen auf der einen und Vernunft auf der anderen Seite. Es ist wichtig, die verschiedensten Formen der Rationalität zu entwickeln: Instrumentelle Vernunft ist nicht das gleiche wie kommunikative Vernunft usw. Man kann nicht alles in einen Topf „Vernunft“ werden, um ihn dann als ungenügend beiseite zu schieben und auf etwas außerhalb der Vernunft zurückzugreifen. Diese Art von gegenaufklärerischer Argumentation ist ja im Westen versucht worden und keineswegs aus dem Osten gekommen. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es eine Tradition der Feindseligkeit gegen die Aufklärung, die im 20. Jahrhundert beängstigende politische Konsequenzuen hatte.
Hat „New Age“ für Sie eine politische Dimension?
Ja, doch sie ist noch unklar. Die Politik des New Age kann sowohl nach links wie auch nach rechts gehen, sie kann auch autistisch werden. Es gibt eine gewisse politische Flexibilität und Lockerheit, die genausogut zum Bösen wie zum Guten ausschlagen kann.
Kann New Age von „Rechts“ genutzt werden? Gesellschaftliche Mißstände durch persönliches Glücksempfinden abfedern?
Ich bin sicher, daß es möglich ist, die „Neue Innerlichkeit“, die mit der „Tendenzwende“ in den 70ern begann, mit bestimmten politischen und sozialen Entwicklungen zusammenzuführen und - in zynischer Weise oder nicht - für politische Zwecke zu nutzen. Es ist eine Möglichkeit, die Leute aus der upper-middle class und middle class glauben zu machen, sie täten etwas, um die Welt zu ändern. New Age kann korrumpiert werden. Aber andererseits nehmen solche Dinge oft einen anderen - manchmal explosiveren - Weg, als die Leute hoffen, die manipulieren wollen. Auch bei den Leuten, die den Kongreß machen, gibt es eine gewisse Besorgnis: Die Bewegung ist ihnen nicht geheuer.
Auf diesem Kongreß sollen laut Ankündigung die Grundfesten des abendländischen Weltbildes hinterfragt werden. Atomkraft - und Hochtechnologieförderer Ernst Albrecht ist Schirmherr. Haben Sie keine Sorge - wie Robert Jungk schrieb - hier vor einen konservativen Karren gespannt zu werden?
Nur weil ein CDU-Ministerpräsident Schirmherr ist, muß nicht die ganze Veranstaltung eine aus meiner Sicht unappetitliche konservativ-rechte Ausrichtung haben. Interessant ist aber, daß die Themen hier eigentlich Themen der Grünen sind. Man kann das als Versuch der Vereinnahmung ansehen, vielleicht aber auch als Versuch, aus der von den Grünen aufgeworfenen Diskussion zu lernen - aber sie dabei in eine status quo-orientierte, weniger überschreitende, weniger politisch gefährliche Richtung zu lenken.
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