Die Angst der Ministerin vor dem Stop-Aids-Projekt

Seit über einem halben Jahr wartet die Kölner Aids-Hilfe auf eine Finanzierungszusage des Süssmuth-Ministeriums für Safer-Sex-Gesprächskreise / Ministerium sieht keinen Handlungsbedarf / Stop-Aids-Projekt in San Francisco nach zweijähriger Laufzeit erfolgreich abgeschlossen: Rate der Neuinfektionen sank unter ein Prozent  ■  Aus Berlin Andreas Salmen

„Wir können im Moment nicht viel mehr tun, als das eine oder andere Workshop-Modell im kleinen Probelauf auszuprobieren“, sagt Justin Fabritius von der Kölner Aids-Hilfe. Seit über einem halben Jahr wartet man in der Rheinmetropole nun schon auf eine Finanzierungszusage des Bundesgesundheitsministeriums für das geplante Stop-Aids -Projekt, daß die Deutsche Aids-Hilfe, Bundesverband aller regionalen Aids-Hilfen, für die Kölner als Modellprojekt im Ministerium beantragt hat. Es soll 750.000DM für zweieinhalb Jahre kosten. Aber das Ministerium Süssmuth läßt sich nicht nur mit der Prüfung des Projektantrags viel Zeit, mittlerweile ist auch fraglich, ob er überhaupt bewilligt wird. Ministeriumssprecher Möbes: „Es gibt zwar noch keine endgültige Entscheidung, aber hier ist Merhheitsmeinung, daß die Absichten des Stop-Aids-Projekts bereits durch andere laufende Modellprojekte des Bundes abgedeckt ist.“

Die Kölner Aids-Hilfe will mit ihrem Stop-Aids-Projekt unter schwulen und bisexuellen Männern der Rheinstadt massiv für die Teilnahme an Safer-Sex-Gesprächskreisen werben. Man orientiert sich dabei an einem gleichnamigen Projekt, das in San Francisco im Juni 1987 nach zweieinhalbjähriger Laufzeit erfolgreich abgeschlossen wurde: Die Rate der Neuinfektionen mit dem Aids-auslösendem HI-Virus war bei Schwulen und Bisexuellen unter ein Prozent jährlich gefallen. 95 Prozent der Männer der entsprechenden Gruppe akzeptieren Safer Sex als neue Norm. Diese Erfolgsquote möchten auch die Kölner mit ihrem Projekt erreichen. Nach einem ersten „Präventionsschritt“ der Information soll nun der zweite folgen, der „konkrete Hilfen zur Verhaltensänderung“ geben will. Geplant sind Gesprächsgruppen mit maximal 15 Teilnehmern, in denen sich Männer über ihre Probleme mit Aids und Safer Sex austauschen und Fragen wie: „Wie trage ich meinen Wunsch nach Safer Sex an meinen Sexualpartner heran?“ oder „Wie bewältigen wir die Probleme gemeinsam?“ diskutieren können. Dabei soll es in den Gruppen keineswegs prüde zugehen, sondern Grundkonsens ist eine positive Sicht (schwuler) Sexualität.

„Wir wissen natürlich auch um die Erfahrungen in den USA“, ist von Sprecher Möbes bezüglich der Erfolgsbilanzen zu erfahren. Dennoch sieht das Süssmuth-Ministerium keinen Handlungsbedarf, denn, so die Begründung, die Intention des Stop-Aids-Projekts sei bereits durch die vom Bund finanzierten Modellprojekte „Streetworker“ und „Psychosoziale Betreuung“ abgedeckt. „Auch dort wird der Ansatz verfolgt, durch Gespräche Verhaltensänderungen zu bewirken.“ Mit dieser Sicht steht das Bundesministerium jedoch weitgehend allein da. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) hat den Projektantrag aus Köln geprüft und mit positivem Bescheid an das Ministerium weitergeleitet. Bei der Bundeszentrale will man sich zwar nicht zur Haltung des Ministeriums äußern, doch die anhaltende Befürwortung durch die BZGA - so ein Mitarbeiter

-„impliziert, daß wir den Antrag gegenüber dem Ministerium vertreten und auch mit dem Antragsteller in Kontakt stehen.“ Auch von wissenschaftlicher Seite erhält das Kölner Vorhaben Unterstützung, wodurch die Forderung des Ministeriums, das Kölner Projekt mit einer wissenschaftlichen Begleitung zu versehen, schnell erfüllt werden konnte: Im Projektbeirat sitzt neben Prof.Rob Tielmann von der niederländischen Aids -Kommission, auch der Berliner Sozialwissenschaftler Dr.Rolf Rosenbrock, Mitglied der Aids-Enquete-Kommission des Bundestages. „In der Enquete herrscht in allen Fraktionen einschließlich der bayrischen, die Einschätzung, daß die bundesdeutsche Gesundheitspolitik zu wenig nah an den Zielgruppen dran ist“, sagt Rosenbrock. „Die Prävention muß wesentlich verstärkt werden, vorhandene Kommunikationswege müssen genutzt werden. Da ist das Kölner Pilotprojekt das einzige, daß mit unkonventionellen Mitteln diesen Weg gehen will.“

Bei der Kölner Aids-Hilfe versteht man die Gegenargumente aus dem Ministerium überhaupt nicht. „Unser Projekt soll doch überhaupt erst zeigen, ob und wie sich der Ansatz aus San Francisco auf bundesrepublikanische Verhältnisse übertragen läßt“, sagt Justin Fabritius. Und Safer-Sex -Gesprächskreise enthält keines der vom Ministerium ins Feld geführten laufenden Projekte. „Grundsätzlich vermute ich, daß im Bundesgesundheitsministerium nicht die Sinnhaftigkeit eines solchen Stop-Aids-Projekts bezweifelt wird. Ich glaube, daß sich das Ministerium ganz einfach schwer damit tut, schwulen und bisexuellen Männern in Zeiten von Aids dabei zu helfen, ihre sexuellen Probleme in den Griff zu kriegen und ihnen mehr anzubieten, als einige bunte Plakate und Broschüren.“ Das wird auch inoffiziell aus dem Bundesministerium bestätigt. Dort habe man eine Heidenangst vor der „öffentlichen Reaktion“ auf ein derartiges Projekt.

Mitzuspielen scheint im Ministerium aber auch der Glaube, man sei in Sachen Aids „über den Berg“ - nicht zuletzt deshalb, weil die Homosexuellen ihr Verhalten geändert hätten.

Dieser Glaube veranlaßte denn auch das Ministerium zum allmählichen Rückzug von Geldern aus dem Aids-Bereich. So wurde ein Projekt, mit dem drei PR-Agenturen aus Düsseldorf über Marktplätze bundesrepublikanischer Städte ziehen wollen, um dort Grundinformationen zu Aids an die Gesamtbevölkerung „personal-kommunikativ“ zu vermitteln, von anfänglich 30 Millionen DM auf „weit unter 20, vielleicht nicht einmal 10 Millionen“ (Möbes) gestutzt. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung widerruft zum Teil bereits schon getätigte Finanzierungszusagen.