„Bereicherungsgesetz“ vor dem Fall?

Nachdem ein Verfassungsrechtler die im Februar erfolgte Erhöhung der Abgeordnetengehälter für „verfassungswidrig“ erklärte, wollen die Grünen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen / Der Bund der Steuerzahler erwägt die Einleitung eines Volksbegehrens gegen Luxus-Diäten  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Wiesbaden (taz) - Daß die überraschend gewonnene „neue Heimat“ für Christ- und Freidemokraten in Hessen nicht mit einer Deutschmark würde bewahrt werden können, war dem Präsidenten des Hessischen Landtags, Jochen Lengemann (CDU), schon bei der Amtsübernahme im April 1987 klar. Denn regieren heißt nicht zuletzt auch repräsentieren, und das kostet einiges. Mit der Schaffung neuer finanzieller „Spielräume“ für die Funktionsträger der neuen Machthaber in der Landeshauptstadt sollte denn auch ein neues Kapitel in der Landesgeschichte aufgeschlagen werden. Eine Diätenerhöhung mußte also her, denn „irgendwo muß auch der Abgeordnete für seine Arbeit in einer Form entschädigt werden, die einigermaßen seinen Leistungen und seinem Aufwand entspricht“ (Vizepräsident Sturmowski, CDU). Und dieser finanzielle „Aufwand“ für das Abgeordnetenleben ist im Zuge des geänderten „Wertebewußtseins“ - Kultusminister Wagner empfängt nur Herren mit Krawatte - eben einfach höher als zu den Zeiten, als noch ein einfacher Betonarbeiter namens Holger Börner in Wiesbaden das Regierungszepter schwang. Während bei den Empfängen Börners oberhessische Wurst serviert wurde, fließen heute in Wiesbaden Ströme von Champagner - und der einfache Abgeordnete muß in seinem Wahlkreis das neu erreichte Niveau halten.

Bei der Neukonzeption der Diätenregelung für die Abgeordneten der späten 80er Jahre dachte Landtagspräsident Lengemann - als oberster Repräsentant der Volksvertretung zunächst einmal an seine eigenen „Aufwendungen“ (obgleich der Champagner umsonst in den präsidialen Weinkeller wandert): 8.100 DM „Kostenpauschale“ monatlich steuerfrei. Das sind rund 2.300 DM mehr, als sie Bundestagspräsident Jenniger (CDU) bekommt. Doch auch die Fraktionsvorsitzenden der im Hessischen Landtag vertretenen Parteien sollten bei der Sanierung der Abgeordnetensäckel nicht leer ausgehen, denn ohne die Stimmen der Oppositionsabgeordneten für diesen Akt der kollektiven Bereicherung hätten die CDU/FDP -Abgeordneten ihre Lohnerhöhung nicht durchsetzen können. Also durften sich die Fraktionsvorsitzenden - wie der Landtagspräsident und seine Vizepräsidenten aus den Reihen von CDU, FDP und SPD - gleichfalls die doppelte Aufwandsentschädigung in die Taschen der Nadelstreifenanzüge streichen. Für den einfachen Abgeordneten sorgte das „Modell Lengemann“ gleichfalls: Die Aufwandsentschädigungen für die gewählten Damen und Herren Abgeordnenten werden nach einem Stufenplan angehoben. Bis 1991 wird - nach den Buchstaben des Diätenerhöhungsgesetzes - die „Aufwandsentschädigung“ um jährlich 500 DM erhöht. Hinzu kommt noch die steuerfreie Kostenpauschale von bis zu 5.400 DM monatlich.

Ein einfacher hessischer Abgeordneter würde also, wenn es bei dem Gesetz bleibt, das CDU/FDP und SPD im Februar im Landtag verabschiedet haben, rund 12.000 DM einstreichen nicht gerechnet die Freifahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und die Einkommen für die „kleinen“ Nebenjobs. Ein Fraktionsvorsitzender bringt es gar locker auf 16.000 DM monatlich - und das insgesamt 13 Mal im Jahr, denn das 13.Monatsgehalt für Abgeordnete versteht sich von selbst.

Daß die Grünen im Februar 1988 aus der Reihe tanzten und das Geld nicht haben wollten, wurde seinerzeit von den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen mehrheitlich mit Achselzucken und vereinzelt mit einigen giftigen Randbemerkungen kommentiert. So meinte etwa Landtagsvizepräsident Sturmowski als einer der Hauptnutznießer der Diätenerhöhung, in der entscheidenden Parlamentsdebatte vom 2.Februar 1988 den Grünen Doppelzüngigkeit vorwerfen zu müssen. Sturmowski: „Sie versuchen doch nur, durch faule Sprüche zu kaschieren, was sie auch gerne mitnehmen.“

Doch nachdem jetzt der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim im Auftrag des Bundes der Steuerzahler in einem Gutachten das hessische Diätenerhöhungsgesetz „in mindestens zwei Punkten für verfassungswidrig“ und in anderen Punkten für „verfassungsrechtlich problematisch“ erklärt hat, sind die Unionsabgeordneten merklich kleinlaut geworden - und die Kollegen von der FDP halten sich vollständig bedeckt. CDU und SPD erklärten am Dienstag vergangener Woche übereinstimmend, daß das Diätenerhöhungsgesetz „überarbeitet“ werden müsse. Vor allem die Sozialdemokraten, die mit den Parlamentskollegen von CDU und FDP im Februar die Hände für die saftigste Diätenerhöhung aller Zeiten in dieser Republik gehoben hatten, haben Mühe, ihrer Klientel die Gründe für ihre damalige kritiklose Zustimmung und die heute angesagte Zurückhaltung nahezubringen. Dies um so mehr, als auch SPD-Vizeparlamentspräsident Erwin Lang beim Ausbaldowern des Bereicherungsgesetzes die Finger im Spiel hatte. Der Christdemokrat Lengemann und der Sozialdemokrat Lang hatten dem Parlament seinerzeit flink vorgerechnet, daß die Diätenerhöhung den Landeshaushalt mit nur 3,5 Millionen DM belasten würde. Tatsächlich kostet die neue monetäre „Grundausstattung“ der hessischen ParlamentarierInnen - wie von den Grünen schon im Februar prophezeit - rund 10 Millionen DM mehr. Das brachte den Bund der Steuerzahler in Harnisch, der jetzt mit der Einleitung eines von der hessischen Verfassung abgedeckten Volksbegehrens gegen das Diätenerhöhungsgesetz gedroht hat, falls der Landtag an seinem eigenen „Lohnerhöhungsgesetz“ festzuhalten gedenke.

Auch die Grünen haben angekündigt, daß sie sich auf keine „taktischen Spielereien“ einlassen wollen. Einer „kosmetischen Veränderung“ des Gesetzes werden die neun Abgeordneten der Partei „niemals zustimmen“, so Georg Dick, Pressesprecher der Grünen. Um klare Verhältnisse schaffen zu können, haben die Grünen deshalb zu Wochenanfang ein „Gesetz gegen das Diätenerhöhungsgesetz“ auf die parlamentarische Reise geschickt, das zur Nagelprobe vor allem für die Sozialdemokraten werden wird. Sollten die Abgeordneten der anderen Parteien das Anti-Gesetz niederstimmen, werden die Grünen - nach einer juristischen Prüfung - entweder vor das Bundesverfassungsgericht oder vor den Hessischen Staatsgerichtshof ziehen. Die Aussichten für eine erfolgreiche Klage in Karlsruhe sind nicht schlecht. Denn nach Auffassung des renommierten Verfassungsrechtlers von Arnim verstößt das hessische Gesetz klar gegen das Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975.

In diesem Urteil hatte das oberste Gericht der Republik festgelegt, daß nur dem Präsidenten eines Parlaments der Bundesrepublik Deutschland und seinen Stellvertretern erhöhte Entschädigungen zustehen würden. Nach Auffassung von Arnims sei auch die Art und Weise der Neuregelung der Kostenpauschalen für die hessischen Abgeordneten verfassungswidrig. Denn ein Abgeordneter, der mehr als 100 Kilometer von Wiesbaden entfernt wohnt, kassiert monatlich 5.400 DM Kostenpauschale ab - mehr als jeder Bundestagsabgeordnete.

Die Grünen sind fest entschlossen, den juristischen Weg zu Ende zu gehen, falls der Landtag das Gesetz gegen das Diätenerhöhungsgesetz ablehnen sollte. Das Geld für die Klagen gegen das „Bereicherungsgesetz“ haben sie auch schon zusammen: Der Betrag rekrutiert sich aus den Geldern, die Joschka Fischer als Fraktionsvorsitzender nach dem seit Februar geltenden Diätenerhöhungsgesetz überwiesen bekommen hat.

Die Abgeordneten der etablierten Parteien jedenfalls sind „verschreckt“. Eine Abgeordnete aus den Reihen der FDP erklärte gar in der vergangenen Woche, daß sie damals eigentlich nicht so genau gewußt habe, für was sie im Februar eigentlich die Hand im Parlament gehoben habe. Ratlosigkeit allenthalben - und was machen Politiker, wenn sie ratlos sind? Sie gründen eine Kommission. Die soll das Gesetz überprüfen und „verfassungskonform“ gestalten. Bis die Kommission ihre wichtige Arbeit abgeschlossen hat, bleibt das eigentlich verfassungswidrige Gesetz selbstverständlich in Kraft - und die Kohle auf den Bankkonten der VolksvertreterInnen.