Bebop auf dem Dachboden

■ Das „Charlie Haden Quartet West“ spielte am Dienstag auf dem Orchesterboden, des Packhauses ein enger Schuppen, in dem Jazz-Enthusiasten ordentlich schwitzen können

Viel schlimmer hätten die äußeren Bedingungen für die Musiker und Zuhörer kaum sein können - höchstens wenn es noch durchs Dach geregnet hätte. Bei der ewigen Suche, nach passenden Räumlichkeiten für Jazz-Konzerte waren die Veranstalter diesmal auf einem Dachboden gelandet: der Orchesterboden des Packhaus ist ein großer Raum direkt unterm Dach. Da hatte sich die Hitze gestaut, so daß Musiker und Publikum ins Schwitzen kamen, alle saßen oder standen sehr eng, und viele mußten draußen bleiben.

Außerdem gab es keine Bühne, die Musiker saßen nicht erhöht, und so sahen die meisten viele Köpfe und wenig Musiker. Und auch diese mußten leiden: das Licht war ihnen zu grell, ein Fenster wurden geöffnet, aber dann zog es wieder zu sehr, durch andere offenen Fenster wurden die leisen Solo-Passagen von Straßengeräuschen begleitet. Es war so unbequem, daß die richtigen

Jazz-Enthusiasten schon ganz begeistert waren, denn was gibt es aufregenderes als ein gutes Konzert in einem miesen Schuppen.

Zu Beginn wurde eine Charlie Parker Komposition in bester Bebop Tradition gespielt. Das Programm war abwechslungsreich aufgebaut: Standards, darunter zwei Stücke von Pat Metheny, eigene Kompositionen von Haden und Watts; einige Balladen, uptempo Stücke, ein Calypso und in der Mitte des Sets, als Gegenpol zum übrigen'eher gefälligen und lockeren Material: „Lonely Woman“ von Ornette Coleman, frei gespielt mit langen Soli von Haden, Pianist Alan Broadbent und Ernie Watts.

Watts, der als vielbeschäftiger Studiomusiker mit viel kommerziellerer Musik sein Geld verdient, spielte sehr pointiert und war souverän in allen Stilen. Er blies puren Jazz, so daß auch die Puristen, die immer gleich Nase rümpfen, nichts zu meckern fanden.

Am schönsten klangen seine emotional und sehr schwarz interpretierten Balladen. Auch der Pianist Alan Broadbent gefiel mir am besten bei den langsamen Songs, zu denen sein eher lyrischer, romantischer Stil, der an Bill Evans erinnert genau paßte. Haden und Schlagzeuger Paul Motian bilden eine der perfektesten Rythmusgruppe im Jazz von heute. Beide waren voriges Jahr mit Hadens „Liberation Music Orchestra“ in Bremen eher müde und lustlos, jetzt wieder voller Brillianz und Spielfreude. Haden spielte in fast jedem Stück ein ausführliches

Solo, von Motian hörte man aber nicht die rituelle Schlagzeugexkursion am Ende des Sets, stattdessen spielte er im letzten Song kurze, genau plazierte Breaks im Rahmen des Arrangements.

Vielleicht waren die Musiker auch inspiriert durch den Raum - jeder Jazzer hat ja in üblen Sälen, engen Kneipen oder stinkigen Kellern angefangen - auf jeden Fall lieferten sie einen sehr intensiven, vielseitigen Set, voller solistischer Glanzpunkte, der für das äußere Ungemach entschädigte.

Willy Taub