„AUGEN UND OHREN GEHEN LEICHT VERLOREN“

■ Kurzfilme aus Berlin, Wien und Amsterdam im UFO-Freilichtkino

Klar hat das Spaß gemacht, damals mit acht oder neun, Cowboy und Indianer im Vorgarten oder „Tatort“ auf dem Dachboden zu spielen. Piff, paff, tot. Wenn „erwachsenen“ Jung-Filmern nichts besseres einfällt, als solche harmlosen Kinderspiele auf die Leinwand zu bringen, könnte das einen gewissen Charme haben, aber statt die eigenen verspielten Spinnereien mit lustvoller Selbstironie zu versehen, strebt man ja nach höherem: Regisseur werden, Filme machen usw. Besonders die Berliner Nachwuchsfilmer sind da unermüdlich. Die schönsten Klischees aus allen „Tatort„-Folgen werden von ihnen zu leblosem so-tun-als-ob verhunzt: Der Barkeeper (natürlich) ein Neger, der dann Sätze stammeln muß, als hätte ein Germanistik-Student die Dialoge geschrieben, der Pianist (natürlich) ein Alkoholiker und die beiden Killer (natürlich) dick, fett und dümmlich. Alle tun so, als hätten sie das schon immer getan: nachts in einer Bar warten und die schöne Chefin erschießen.

Irgendeine „dreckige“ Geschichte ist passiert, eine, für die der Kurzfilm natürlich viel zu kurz ist, deshalb muß jedes Wort so unheimlich bedeutungsschwanger sein - das System! Damals! Du weißt schon! - und alle Hampelmänner in diesen Filmchen wissen dann Bescheid. Nur der Zuschauer gähnt vor sich hin, weil ihm vielleicht auffällt, daß der Pianist gar nicht spielen kann (wenn man ihn so sieht wie er herumklimpert, aber das ganz bestimmt nicht die Melodie ist, die man hört), oder weil einem dieses ganze ernsthafte Gespiele überhaupt auf den Geist geht, von Leuten, die Killer sein wollen, aber in ihrem Leben wahrscheinlich noch nie ein Schießeisen gesehen, geschweige denn selbst in der Hand gehalten haben.

„Scotch & Murder“ ist jene ekelhafte Art von Kurzfilmen, die wahrscheinlich beim nächsten Filmförderungsantrag als Beweis handwerklichen Könnens vorgewiesen werden; langweilige Fingerübungen von Leuten, die nachmachen möchten, was sie mal im Fernsehen gesehen haben. Es ist eine Lieblosigkeit in diesen Filmen, die jeden glatten Werbeclip zu wahrer Kunst aufwertet, und die das Kino wie seine Zuschauer verwurstet: Darsteller, die agieren wie Schaufensterpuppen, billigster Abklatsch von Filmkunst (expressive Beleuchtung) und eine Synchronisation, die selbst den schlimmsten Videosynchronfassungen zur Ehre gereicht: In „Altmans Regel“ gibt Altman am Ende endlich sein Geheimnis preis (obwohl das eigentlich niemanden mehr interessieren kann), und sein Mund öffnet sich immer schon drei Worte im voraus...

„Scotch & Murder“ nennt das UFO-Kino diese Berliner Kurzfilmzusammenstellung, und es wäre sinnvoller, man nähme selbst einen Drink, als diesen Schauspielschülern dabei zuzusehen, wie sie trinken, wenn ihnen gerade nichts einfällt oder sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Diese Berliner Filme sind so sauber, wie sich Oberschüler eben „dreckige“ Nachtbars, „böse“ Bankräuber und „einsame“ Privatdetektive vorstellen. Oder anders gesagt: Das Geld, das in diesen Kurzfilmen steckt, schaut in Form von hübschen Gegen-Licht-Effekten, sinnlos explodierenden Autos und sich drehenden (dämonisch beleuchteten) Deckenventilatoren wieder heraus.

Manchmal allerdings läßt sich ein gewisses Grinsen nicht unterdrücken: jedesmal, wenn ein neuer „Scotch & Murder“ beginnt, meint man die Fortsetzung des gerade zu Ende gegangenen Filmchens zu sehen - nur kennt man die „Geschichte“ natürlich schon, die immer gleichen stereotypen Sätze und das auf „dreckig“ gemachte „Schöner-Wohnen„ -Ambiente.

Wenn der, gerade in letzter Zeit, so salbungsvoll herbeigeredete Kurzfilm wirklich eine eigenständige Filmform werden will, müßte er sich auch auf die Suche nach etwas Eigenständigem begeben - und in dieser Hinsicht sind die im UFO präsentierten Wiener-Filme auf dem besten Wege: „Augen und Ohren gehen leicht verloren“, heißt es in Mara Mattuschkas „Les miserables“ - was durchaus als wertendes Motto für die Berliner Kurzfilmkacke gelten könnte. Das 22 -minütige Auswahl-Programm der Meisterklasse von Maria Lassnig an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien ist zweifellos der Höhepunkt dieses UFO-Kurzfilm-„Festivals“ (auch wieder so ein Ausdruck, der völlig fehl am Platze ist, weil es sich bei dem ganzen natürlich nicht um ein Festival handelt, sondern um eine äußerst beliebige Kurzfilmzusammenstellung): Es beginnt mit Hubert Sieleckis „Festival“, einer selbstironischen Verarschung der sich immer überaus wichtig vorkommenden Jungfilmer. „Vorrang“ von James Clay ist dann ein brutal-lustiger Film über die Rücksichtslosigkeit des Autoverkehrs, und in Guido Hoffmans „Knochen“ sind Menschen wandelnde Skelette, die gegeneinander bumsen, bis am Ende nur ein Schädel übrigbleibt. Filme, die sich dem Alltag nicht verschließen, sondern ihn auf humorvoll-unterhaltende Weise als von Menschen gemachte Realität zeigen. Das restliche Wiener -Programm tendiert dann zu Kunst-Filmen, die die Schönheit von Materialien wie Neon und Nylon zeigen oder Selbstmitleids-Dramen um einen Neger in der Großstadt, der gerne in die Steppe zurückmöchte, aber nicht weiß wie.

Die Amsterdamer Kurzfilme konnte das UFO-Kino nicht im voraus zeigen.

Torsten Alisch

„Scotch & Murder“ heute und am 10.7., Amsterdamer Kurzfilme am 8.7., Wiener Filme am 9.7. jeweils um 22.30 Uhr im UFO -Freilichtkino und danach bis zum 24.7. im UFO II.