Deformation Professionelle

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(Havanna, Schauplatz der Geschichte, ARD, ein Film von Herrn Brugger, 23.00 Uhr) „Man hat uns gesagt, wir dürften militärische Anlagen nicht in unseren Film einbeziehen, und jetzt sind wir doch hier oben auf der Festung.“ Kein schlechtes Entree, um die Wundernisse der kubanischen Bürokratie lakonisch anzutippen. Anything goes, sofern man die richtige Gelassenheit hat und die staatstragenden Symbole respektiert.

Angenommen, man bekäme von einem Sender den Etat für ein „Feature“ über „die Perle der Karibik“ bewilligt, führe dorthin für vier Wochen mit kleinem Aufnahmestab, wohnte im ehemaligen Kolonial-Luxushotel „National“ oder im enteigneten „Hilton“, das heute „Habana Libre“ heißt und den Umsteiger-Touristen auf Durchreise pauschal verordnet wird, man hätte die paar Reiseführer gelesen, sogar die Hemingway -Erinnerungen, und hätte nun einen Haufen offizielle Termine, immer nett mit Drinks und auf schattigen Terrassen, man ließe sich kompetent von Eusebio durch die mit Unesco -Hilfe sanierte Altstadt führen, wäre hingerissen vom Zauber der bröselnden Arkaden und speiste im hochfotzenoblen „Patio“ mit aufgeweckten Kulturfunktionären, die man mit schwarzgetauschten Pesos erfolglos versucht einzuladen. Man ginge einigen Tips und „Privatadressen“ nach, träfe ein, zwei Schriftsteller oder eine Augenzeugin der 56er Revolte und baute diese Hits ins moderate Buch der Drehgenehmigungen ein. Dann drehe man ein Feature.

In den Devisenenklaven, wo außer Ostblockfunktionären mit Gattin auch wieder Dollarbesitzer den Charme des karibischen Sozialismus genießen dürfen, läuft ein Spezial-TV-Programm, das preiswerte Surfer- und Hummmeressen-Tagestrips zum Beachparadies und für den humanistisch-interessierten Urlauber Studienreisen zu den folkloristischen Sehenswürdigkeiten bewirbt. Plump und realitätsgetreu lacht der Dollar, der laut dem Plansoll schon bald die einzig solide Einnahmequelle sein dürfte. (Die Wirtschaftshilfe für Nicaragua: Zucker, Zement, Öl - alles was man hat.) Unser braves, freundliches Feature kann im Grunde kaum weniger opportun und langweilig werden. Kurzsichtig werden die Oberflächen-Standard-Programme abgefragt: die wunderbaren Schlößchen einer verpennten Aristokratie, diese Genrebildchen der grausamen Sklavenbarbarei, der Literatenmythos eines tropischen Sündenpfuhls aus Bordell, Spielcasino und Bananenstadt der Amis - den man von einem Dichter selbst dementieren läßt. Alles stimmt, und keiner merkt mehr was.

Wenn die Kubaner zu Wort kommen und „corruptio“ rollen, grollt und grummelt und grinst ein verheißungsvoller Tonfall auf: „Da wurde uns der feste Boden, auf dem wir einen schwankenden Halt gefunden hatten, unter den Füßen weggezogen.“

Der Journalist läßt per Dolmetscher nach der Kinderzahl einer Arbeiterin fragen. „Zwei.“ - „Dann haben sie also zwei Berufe?“ - „Ja, Mutter, Arbeiterin und einen dritten: Revolutionärin.“ Im Beisein der Topographie erfährt man, daß der Verein für revolutionäre Erhebung sein Clubhaus im „Miramar“ hat. Ja so. Und nach 44 Minuten tritt Fidel Castro auf: mit dokumentarischem Tagesschaumaterial. „Es war eine Revolution der Rhetorik, Fidel buchstabierte das Wort. (Es lohnt sich zu sterben, wenn der Tod eine fruchtbare Saat ...)“ Einmal plantscht eine kubanische Daisy auf Manöver durchs Kornfeld, ein winziger Moment zeigt einen kugeligen Arsch, und der Richard-Claideman-Sound (As times go by!) nölt sich der Brechschwelle an. Die Schaukelstühle, die fehlenden Gullydeckel, die überraschenden Denkschlenker und ganz vordergründig: die Musik - nichts davon im Fernseher. So dröge und leidenschaftslos kann nur ein vom Medium verbogener und erblindeter Journalist aus Havanna rapportieren. Widerlich.

Vogel