: Bier und Schaum
■ Musik, Minderheiten, Paradshanov: Zum diesjährigen Münchener Filmfest
Gunter Göckenjan
Wo der Biergarten nah ist, kann die Freude nicht weit sein. Ein Berliner in München, das ist zuerst einmal die Erfahrung, daß die Landesfarben, blau-weiß, vom weißen Bierschaum reden und der Wirkung des Bieres darunter (Schaum und Bier: eins zu eins).
Die Münchener feiern nun schon zum sechsten Mal - ihr Filmfest. Gefeiert wird in einem Kulturbunker (Gasteig), der so aussieht, als habe man die Fußgängerzonen von Bochum, Dortmund und Stuttgart zu einem Haus aufgetürmt. Hier zieht einmal im Jahr der Glamour ein: Nach 16 Uhr, wenn die Preise steigen (Kaffee von 1,50 auf 2,50 DM), strömen die Einheimischen zusammen. Weil sie so zahlreich kommen, hat man für die akkreditierten Gäste eine strengbewachte VIP -Longue eingerichtet, die über eine frei im Raum stehende Treppe zu erreichen ist. Das ist für alle Beteiligten sehr schön, weil die einen unter sich sein und dieses Bedürfnis die Treppe lässig hochschreitend - allen zeigen konnten und weil die anderen von jedem Tresen aus die Treppe im Auge behalten. Ob da auch Marlene Dietrich und Jean Gabin herunter kommen? Nein, sie kamen nicht. Das scheint sich schnell herumgesprochen zu haben, jedenfalls nahm die Zahl der Zuschauer an der Treppe bald ab, in der Folge davon die der Loungebesucher auch.
Bier beiseite, wir waren auch im Kino, und da ging es sehr viel spannender zu. Das Müchener Filmfest zeigt nämlich die Highlights der vorhergegangenen großen Festivals und bietet einen Überblick über die im nächsten Halbjahr zu erwartenden Kinohöhepunkte: Uns steht eine Reihe von Filmen bevor, die Musik oder Musiker zum Thema haben oder sich der Musik als erzählerisches Stilmittel bedienen:
Sur von Fernando E.Solanas, dem Regisseur von „Die Stunde der Hochöfen“: Ihm ist es gelungen, seinen Film wie einen Tango mit vielen Strophen zu erzählen: schwebend, melancholisch dem Rhythmus folgend. Das Leben eines politischen Gefangenen, der, gerade aus der Haft entlassen, auf dem Weg nach Hause, an jeder Straßenecke einen alten Tango aus seiner Vergangenheit wiedertrifft. Seine Frau hat ihre eigenen Lieder. Ein elegisches Meisterwerk aus bildgewordener Trauer. Die Musik ist von Astor Piazolla.
Manoel de Oliveira, Portugals Regiegroßmeister, hat mit seinem neuen Film Die Kannibalen eine Kino-Oper inszeniert. Die Texte werden hier nicht gesprochen, sie werden gesungen. Die Geschichte könnte von E.T.A.Hoffmann sein, die Dekors aus einer Traviata-Verfilmung von Brian de Palma. Joas Paes hat komponiert. Ein Kunstfilm; der Kinorealismus hat hier endgültig ausgespielt. Allen Zefirellis, Rosis oder wie sie sonst noch heißen, sollte man Die Kannibalen solange vorspielen, bis sie schwören, unter diesem Niveau keine Oper mehr zu bearbeiten.
Tony Palmer hat für seine Verfilmung der Schostakowitsch -Memoiren Bilder im Stil des frühen Sowjetfilms nachempfunden. Testimony erzählt das Leben des russischen Komponisten im Rhythmus und im Stil der Musik.
Heavy Metal steht im Mittelpunkt des Interviewfilms The Decline Of Western Civilization, Part II von Penelope Sheeris, mit dem sie Einblick in die Sexualpathologie einer Musikrichtung gewährt. Außerdem gab es noch Border Radio, einen Film aus der Underground-Clubszene L.A.s, Ry Cooder And The Rhythm Aces, einen Konzertfilm von Les Blank, und den Film zu Platte und Bühnenshow von Tom Waits: The Big Time.
Last not least: Hairspray von John Waters. Thema und Anspruch sind hier nicht Kunst, sondern Vergnügen. Waters gelingt eine unterhaltsame Satire auf die provinzielle Version der 60er-Jahre-Unterhaltungsindustrie. Musik und Tanz bestimmen die Geschwindigkeit, mit der sich alles um Stil und Erfolg dreht. Und Edna Turnblades Herz schlägt für die ausgeschlossenen Schwarzen: im Rock'n'Roll-Rhythmus. Hairspray verbindet die beiden Lieblingsthemen des derzeitigen Filmschaffens, wie es sich in München vorstellte. Neben der Musik gilt die Aufmerksamkeit den ethnischen Minderheiten und der Beziehung der verschiedenen Gruppen zueinander.
Bestes Beispiel ist A World Apart, der anhand der Geschichte einer weißen Familie in Südafrika die Brutalität des Apartheid-Regimes zeigt.
Einen Film von Schwarzen mit Schwarzen hat Spike Lee gemacht. School Daze ist sein Zweiter, aber leider nicht so gelungen wie She's Gotta Have It. Der neue ist nicht viel mehr als eine der üblichen Highschool-Komödien; daß es sich um ein College für Schwarze handelt, ändert daran nichts. Auch hier gibt es die obligatorische Teilung in zwei Gruppen, nur, daß sie sich diesmal durch die Einstellung zur Hautfarbe definieren.
Auch Stand And Deliver spielt in einem Lehrinstitut, ist aber von anderem Kaliber. Die Geschichte der Hinführung einer Chicano-Klasse zum Erfolg und der Widerstände, die sie dabei in sich selbst und gegen die Gesellschaft überwinden müssen. Die Personen sind glaubhaft und sympathisch, die Geschichte ist mit Witz erzählt und, was man hier gar nicht erwartet, spannend wie ein Krimi.
Die Beduinen von Paris hat in Paris mit Recht den Cesar für den besten Nachwuchsfilm erhalten. Er nimmt mit Leichtigkeit und Humor den Rassismus aufs Korn, wie ihn ein Araber und ein Afrikaner auf der Wohnungssuche in Paris erleben. Das führt sie von einer komischen Situation zur anderen, das Gelächter des Publikums haben sie dabei auf ihrer Seite.
Das ist bei Marco Ferreris Satire anders. Man lacht über die Weißen, die, auf Hilfssafari in einem afrikanischen Hungergebiet, ihren eigenen Problemen entkommen wollen und dabei auf neue, noch unwillkommenere, stoßen. Man lacht über die Schwarzen, denen sie begegnen. Die sind wie aus einem 'Asterix-in-Afrika'-Heft. Ferreri steht mit einem Fuß selbst auf dem Boden des Rassismus. Natürlich kann man bei einem Filmfest nicht nur Bier erwarten, der Schaum gehört einfach auch dazu.
Festivals sind Ereignisse, wollen es einfach sein. Da sich nicht immer von selbst was ereignet, werden die Ereignisse eben gemacht. Ein Filmemacher aus der Sowjetunion, der dort im Gefängnis saß, ist da Ideal für München, weil dort im Moment die sowjetische Kultur in Mode ist. Man hat Sergej Paradshanov eine Werkschau gewidmet, die alle erhaltenen Filme von ihm zeigte. Sergej Paradshanov hat Kolchosemärchen und Geschichtslegenden verfilmt, die (mit einer Ausnahme) nicht einmal die Bezeichnung „Edelkitsch“ verdienen. Seine gelungenste Legende scheint die seines eigenen Schicksals.
Er war wirklich im Gefängnis, aber über die Gründe seiner Verurteilung gibt es fast so viele Gerüchte wie Berichte über ihn. Das reicht von Verführung zu homosexuellen Handlungen über Anstiftung zum Selbstmord bis zur Verbreitung der Syphilis; ein Telegramm taucht auf, daß er an den Parteivorsitzenden geschrieben haben soll und so weiter. Da kann sich jeder aussuchen, welche Art Opfer er lieber hat. Der 'Spiegel‘ zum Beispiel entscheidet sich für eine Verurteilung wegen seiner Homosexualität. In der englischen Fachpresse liest man hingegen, daß er wegen Schwarzhandels mit Kunstwerken, Devisenvergehen und Bestechung eines Funktionärs im Gefängnis saß. Welche Variante auch erzählt wird, immer wird angedeutet, daß er eigentlich als mißliebiger Künstler bestraft wurde. Weshalb er uns gefallen muß: Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde. Diese Message wurde auf allen Kanälen der bayerischen Medien verbreitet: Was denen nicht paßt, ist für uns hohe Kunst.
Hätte man diese Werkschau nicht veranstaltet, ich würde heute noch an das Genie Paradshanov glauben, von dem ich bis dahin nur Die Farbe des Granatapfels gesehen hatte. Ein Film, der auch nach der dritten Ansicht nicht sein Geheimnis verrät, der in rätselhaft poetischer Bildsprache das Leben eines armenischen Dichters besingt. Ausgerechnet dieser wurde, wie man jetzt auf dem Münchener Filmfest erfahren mußte, nicht vom Regisseur selbst geschnitten. Schon jammert die Journaille, daß die Urfassung verlorengegangen sei. Dabei hat sie keiner gesehen. Vielleicht ist das Kunstwerk aber gerade durch diese (unfreiwillige) Kooperation entstanden? Es ist jedenfalls bis jetzt das einzige von Paradshanov. Montage: Sergej Jutkewitsch.
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