Einzweidreivier Bösewichte

■ Vier Wasserleichen und viele Frauen zerstören die Strand-Idylle in Granier-Deferres „Ertrinken verboten“: Philippe Noiret ist definitiv das größte Schlitzohr

Es könnte ein schöner Sommertag am Atlantik werden, der Strand ist noch jungfräulich, nur eine junge Frau im Netzhemd läuft auf das Meer zu. Sie zögert. Doch die Kamera zoomt sie ganz nah heran und nimmt ihr die Entscheidung ab, in welche Richtung sie springen soll: Maries (Anne Roussel) Morgenbad endet - man ahnt es schon - in den Armen einer Wasserleiche. Ein Zahnarzt. Marie ist entsetzt. Mit ihr die Witwe. Und der Bürgermeister, der um seine Saison fürchtet, die noch nicht begonnen hat.

Aber es kommt noch schlimmer. Kameraführung und die mit Violinenklängen unterlegte Musik künden es an. Die Aufklärungsarbeit des aus Paris herbeizitierten Inspektors (Philippe Noiret) uns seines verhaßten Kollegen Leroyer (Guy Marchand) besteht im folgenden darin, drei weitere, ausschließlich männliche Wasserleichen aus dem Meer zu fischen - und zu identifizieren.

Für den ersten Mord am Zahnarzt kommt ein junger Mann in Frage, ein ausgekochter Nichtsnutz, der nichts besseres zu tun hat, als junge Frauen beim Nacktbaden zu beobachten. Er fällt auf, wird nachts, wenn er fensterlt, der Bösewicht, beschattet. Doch die Fährte verläuft im wahrsten Sinne des Wortes im Sand: Auch er wird eines Tages als dritte Leiche an den Strand geschwemmt,

die Forschungen gehen weiter. Was man so Forschungen nennt.

Denn Inspektor Molinat und vor allem sein unangenehmer Kollege Leroyer verbinden bei ihrer Indiziensuche das Angenehme mit dem Unangenehmen: Stolpern scheinbar zufällig über nackte Strandschönheiten, vornehmlich über die drei Frauen, die ein altes Haus (Maison Grise) direkt am Meer gemietet haben. Man macht Bekanntschaft. Alles sehr unverbindlich, aber es kribbelt. Zwischen Jeanne und Leroyer bahnt sich was an. Doch was hat der Revolver unter dem Kissen der maladen Jeanne zu suchen, sollte es sein, daß die drei Frauen ... So ist es.

Man ahnt es schon viel früher. Der junge Voyeurist am Anfang war eine „absichtlich falsch gelegte Fährte“, erklärt Regisseur Pierre Granier-Deferre, von dem einige behaupten, daß seine Filme „rätselhaft und geheimnisvoll sind wie seine Person“. Vielen Dank. Nun wir wissen. Dann ist es sicher auch diesem rätselhaften Geheimnis zu verdanken, daß sich Kameraführung und Schnittfolge immer mehr auf die weibliche Besetzung konzentrieren, auf die alte Verrückte am Strand, die nur darauf wartet, daß ihre längst verstorbene Tochter Christine zurückkommt; auf die hysterische Zahnarztwitwe, die die vermeintliche Ex-Liebhaberinnen ihres Mannes belästigt; auf

Marie, die junge Schönheit vom Beginn des Filmes, der man Sexbessenheit nachsagt.

Der Revolver unter dem Kissen neben dem Teddybären ist nur der letzte Beweis für den, der es immer noch nicht kapiert hat, worum es in diesem Film - mit Absicht? - geht: Alle Frauen, nicht nur die tatsächlichen Mörderinnen des Maison Grise sind kleine Bösewichter. Marie, Jeanne oder wie sie alle heißen, sie alle sind immer gut für einen Mord. So ist es dann aber doch nicht. Alle scheiden aus, bis auf drei.

Doch der größte und schlitzöhrigste Bösewicht ist definitiv Philippe Noiret. Er ist nicht so dumm, wie er manchmal aussieht. Ist sogar Inspektor, wofür er ja auch bezahlt wird. Er entdeckt bei einer unerlaubten „Routinehausdurchsuchung“ den Revolver, läßt ihn aber dort liegen. Warum? Seinem Kollegen, der zuviel von Molinats Vergangenheit weiß und mit dem er sich deswegen immerzu in der Wolle liegt, verrät er nichts. Macht ihm in einer der letzten Szenen den Vorschlag, doch das schmeichelhafte Angebot von der Revolverbesitzerin anzunehmen, mit ihr zu schlafen, um dabei einiges herauszukriegen. Leroyer tappt in die Falle. Kommt zuerst mit einem Schuß in den Oberarm davon, bevor er endgültig die Treppe herunter- und ein Messer zwischen die Rippen gestoßen be

kommt.

Mit dieser Szene zieht Pierre Granier-Deferre uns doch in sein Netz: Molinat, von dem Bürgermeister gefragt, ob er Leroyer nicht vermissen würde, antwortet listig: „Wissen Sie, er kommt eines Tages vom Meer zurück“. Und dann schwenkt die Kamera noch einmal aufs Meer, wählt den Punkt, an dem alles begann und rückwärts rollt noch einmal der Bilderbogen des Films ab: Der schöne Morgen am Atlantik, das schöne Haus am Meer, die Frauen am Strand und Philippe Noiret mittendrin.

Regina Keichel

Frankreich 1988.

Gondel, 18 und 20.30 Uhr