"Blickwechsel"

■ 25 Jahre Berliner Künstlerprogramm

„Natürlich verstehe ich, daß die Mauer die Phantasie der Künstler anregt, lang ehe sie nach Berlin kommen. Wenn ich auf Reisen von Künstlern angesprochen werde, die sich nach Berlin bewerben wollen und sie sagen mir: Unser Thema wird die Mauer sein, wir wollen etwas mit der Mauer machen, wollen sie durchlässiger machen, erhöhen, verdoppeln, aus Glas oder Schokolade nachbauen oder ganz verschwinden lassen, dann sage ich meistens: 'Denkt Euch etwas aus, aber bitte nicht schon wieder die Mauer. Wir können das ständige künstlerische Thematisieren der Mauer schon nicht mehr sehen und hören. Wir sind randvoll davon. Natürlich, wir wären heilfroh, wenn sie weg wäre, aber ihrer künstlerischen Phrasierung sind wir müde.‘

Von den ganz verschiedenen Erfahrungen, die Künstler an und mit der Mauer gemacht und auf unterschiedlichste Weise verarbeitet haben, möchte ich hier nur zwei Beispiele herausgreifen. Zuerst wäre da Ben Vautier, der Fluxuskünstler aus Nizza. Wie so viele andere ist auch er an die Mauer gegangen, dort auf die Aussichtsplattform gestiegen und hat hinübergeschaut. Das, was ihn am meisten beeindruckt hatte, war das friedvolle Hoppeln der Kaninchen. Das Paradies der Kaninchen, das sich in dieser Zone zwischen der ersten Mauer und der zweiten dahinterliegenden abspielt. Und er sagte, daß er nichts über die Mauer, sondern über die Kaninchen machen wolle und über das Kaninchenparadies, das an der Mauer entstanden ist.

Dann Tony Ingrassia. Er hat ein Hörspiel geschrieben für den RIAS, da telefoniert ein Mann aus New York, der nach Berlin gekommen ist - offenbar er selbst - mit einem Freund, der in New York geblieben ist. Sie erzählen sich gegenseitig, was es Neues gibt. Der Freund erzählt, was die alten Bekanntn machen, wer mit wem zusammen ist, wer sich mit wem gestritten hat, wer sich von wem getrennt hat - und er erzählt, wie Berlin ist. Da der Freund Berlin nicht kennt, muß er ausholen, wie es in den Kneipen ist, wie sich diese Kneipen von den Bars in Manhattan unterscheiden etc. Das Stück endet dann mit einer für uns seltsamen Pointe: 'Die Stadt ist toll. Die Leute sind toll. Und weißt Du, was das Tollste ist? Die Stadt ist von einer Mauer umgeben!'“

Wieland Schmied war von 1978 als Nachfolger von Karl Ruhrberg bis 1986 (Nachfolger Joachim Sartorius) Leiter des Berliner DAAD.

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