Die andere Seite Uruguays-betr.: "Nur wenig änderte sich in Montevideo", taz vom 2.7.88

betr.: „Nur wenig änderte sich in Montevideo“, taz vom 2.7.88

Es stimmt, gibt aber ein falsches Bild. In Uruguay gibt es nicht nur eine Regierung „festgeschweißt an die Seite der Militärs und jener 500 Familien, die das Land seit jeher beherrschten“.

634.000 Uruguayer gaben ihre Unterschrift für einen Volksentscheid über das Gesetz der Straffreiheit der Mörder und Folterer unter der Militärdiktatur. Damit es abgehalten wird, schreibt die Verfassung die Unterschriften von 25 Prozent der Wahlberechtigten, etwa 555.000, vor. Man stelle sich das hier vor: die Bevölkerungszahl proportional in Rechnung gestellt, sind das soviel wie 13 Millionen Unterschriften in der BRD.

Und das bei einer massiven Einschüchterungskampagne durch Presse und TV, dem Risiko der Wiederkehr der Militärs, der Drohung, die Unterschriften würden dem Verteidigungsminister - demselben Oberkommandierenden der Diktatur, General Hugo Medina - übergeben.

Einen wesentlichen Anteil an der Unterschriftensammlung hatten die Anhänger der Frente Amplio, der linken Einheitsfront, die von den Christdemokraten bis zu den Kommunisten und Ultralinken reicht. Sie ist nicht nur eine Koalition, sondern auch eine selbständige Bewegung mit Hunderten von Basiskomitees in den Stadtteilen, Ortschaften des Landesinnern und in den Betrieben. Natürlich war die Frente Amplio nur die organisierteste, keineswegs die einzige politische Kraft, die an der Referendumskampagne teilnahm (bedeutende Sektoren der Blanco-Partei, die Gewerkschaften der Einheitszentrale P.I.T.-C.N.T., die Tupamaros und andere ebenfalls).

Bei den kommenden Wahlen (November 1989) gewinnt die Frente Amplio ziemlich gewiß Montevideo, die Verwaltung der Hauptstadt und der Provinz, wo fast die Hälfte aller Uruguayer leben. Die einzige Hoffnung der Reaktion ist, daß sie sich spalte, wozu sie - über die Massenmedien - kräftig beizutragen suchen. Denn zur Zeit ist die Frente Amplio die einzige reale Alternative zu der „antinationalen, gegen das Volk gerichteten und antidemokratischen Politik“ der vom Mehrheitssektor der Blancos gestützten Colorado -Regierung, so wie sie der Präsident der Frente Amplio, General Lieber Seregni, der selbst fast zehn Jahre der Diktatur in Haft verbrachte, charakterisierte.

Das ist die andere Seite der Realität Uruguays, die das Land verändernde. Sie kann nicht übersehen werden.

Ernst Kroch, zur Zeit Frankfurt