GLÜCK AUF!

■ Die Zigeuner sind in der Stadt

Damit dies nicht nur Hobbyseiten sind (über Konzerte, Theater, Ausstellungen etc) schickte Redakteurin Vogel nach einem echten Zigeuner-Interview aus. Da traf es sich, daß just eine ca. 80-köpfige Gruppe dieser mobilen Menschen, aus Neuss / NRW, sich für drei Monate quasi ferienlagermäßig hinter den Parkplätzen des Reichstags eingerichtet hatte. Nicht wie die neuen Nomaden auf dem Gelände des ehemaligen „Haus Vaterland“ oder hinter dem Rauchhaus am Mariannenplatz bzw. gegenüber dem Weißbeckerhaus in der Wilhelmstraße mit freakigbunten umgebauten Bau- und Lastwagen, sondern eher so nüchtern wie die Hobby-Nomaden auf ihren Ferien -Campingplätzen: mit Mercedessen und Wohnanhängern neuester Bauart.

An der abgerissenen Spreebrücke, von wo ein asphaltierter Weg über die Wiese führt, auf der die Roma-Sippe ihre Wohnwagenburg aufgestellt hat, überlege ich kurz, an wen und wie ich meinen Interview-Wunsch am besten richte. „Herr Roma“ kann man nicht sagen, auch „Zigeunerbaron“ klingt komisch!

Anläßlich meiner letztjährigen Nomadenforschungen hatte ich mich schon in die gängige Zigeuner-Literatur eingearbeitet, von Romani Rosa Material geschickt bekommen und einmal im Hessischen eine Schule für die Kinder Nichtseßhafter besucht, wo mich eine Schülergruppe in der Sporthalle mit ihrer Aufräum-Systematik überrascht hatte: die Spielsachen und -geräte waren von ihnen nicht, wie ich es erwartet hatte, an den Wänden gestapelt und aufgeräumt worden, sondern in der Mitte der Halle zu zwei Haufen, zwischen denen ein Lastwagen gepaßt hätte.

Nunmehr ging ich so professionell wie möglich entschlossen zum erstbesten Wohnwagen, wo zwei junge Frauen und ein Mann auf Gartenstühlen unter einem Vordach saßen und rauchten. Kaum hatte ich das Wort „Tageszeitung“ und „Interview“ gesagt, wozu sie genickt hatten, stürzte schon eine Frau unter dem Vordach des Nachbarwohnwagens hervor und sagte zu mir: „Ah, Sie wollen die Zukunft wissen, ich werde Ihnen aus der Hand lesen, es kostet wenig“. Ich zückte gequält lächelnd, aber gutkonditioniert nach einem hilflosen Blick über die Wiese meine Brieftasche und wühlte ein Fünfmarkstück hervor. „Ich brauche einen Schein“. „Ich habe aber nur einen Fünfziger, und den muß ich behalten“. „Die können ihn hier sicher wechseln“. Ich gab ihr den Schein, etwas zu betont vertrauensvoll und grinste übervorurteilslos. Sie lief mit dem Geld einmal um den Tisch der drei Sitzenden und zog mich dann unter das Vordach ihres Wohnwagens, wo sie mich in einen Campingsessel drückte und meine Hand nahm. „Ich lese Ihnen jetzt die Zukunft. Ich kann das, glauben Sie einer alten Zigeunerfrau, die fünf Kinder hat“. Die Kinder waren da, eine junge Frau trug mexikanische Cowboy-Stiefel, aber sie war mindestens fünf Jahre jünger als ich. Das sagte ich ihr auch. Wir versuchten beide mit ironisch verzogenen Mundwinkeln so ernsthaft wie möglich zu wirken, was anstrengend war, und deswegen kuckten wir auch nicht auf meine schlaffe Hand, die sie immer noch hielt, während sie mir etwas von meiner ebenso „treuen“ wie „großen blonden Verlobten“ und „zwei Kindern, ein Bub und ein Mädel“, „Gesundheit“ und „ein langes Leben“ prophezeite. „Ja, glauben Sie mir, andere Leute zahlen 100, 500 Mark dafür.“ Ich schaute auf meinen Fünfzigmarkschein in ihrer Hand. „Sie werden immer gesund bleiben, bis auf ein leichtes Rückenleiden vielleicht.“ Stöhnend richtete sie sich auf, ihr tat jetzt schon der Rücken weh. Ich reichte ihr hilfreich die Hand höher. „Jetzt benötige ich zwei Haare von ihnen, es tut nicht weh“. Sie zupfte mir blitzschnell drei Haare aus und wickelte sie in ein Stück Zewawischundweg, das sie aus ihrer Schürzentasche geklaubt hatte. „Bleiben Sie hier, ich muß noch schnell Salz dazu holen, das ist wichtig.“ Meine drei Haare in dem gelben Papier in der Hand haltend blieb ich sitzen, die Kinder beachteten mich nicht. Ihre Mutter schüttete mir dann etwas Sel mit Meersalz in meinen „Talisman“, den ich „immer gut aufbewahren“ sollte „sonst großes Unglück“. Ich verstaute den Glücksbringer in meiner Brieftasche. „So, alles in Ordnung, jetzt muß ich arbeiten“, sagte sie. Ich kam noch einmal auf das Interview zu sprechen, für das ich am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen bereit wäre. „Ja gut, morgen machen wir weiter. Aber Sie müssen noch einmal einen Schein mitbringen. Andere Leute zahlen 100, sogar 500 Mark dafür. Sie können auch einen Teppich kaufen. Brauchen Sie keinen Teppich?“ „Nein, ich wollte doch für die Tageszeitung...“ „Macht nichts, bringen Sie Ihre Kollegen mit, Zeitungen haben doch auch Geld und brauchen vielleicht Teppiche. Aber jetzt muß ich was tun und hab keine Zeit mehr.“ Ich gab ihr die Hand, bedankte mich und verließ den Platz wieder. Die zwei jungen Frauen und der Mann saßen mittlerweile nicht mehr unter ihrem Wohnwagenvordach, mir schien, sie hatten sich aus dem Staube gemacht.

Unterwegs nach Hause kam mir die Idee, statt eines Zigeuner -Interviews der Einfachheit halber die Handlesung zu einem 100-Zeiler auszuwalzen - auf die Weise würde ich nicht nur die 50 Mark sofort wieder reinkriegen, sondern hätte auch den Glücksbringer der Zigeunerin quasi umsonst bekommen. Gesagt getan.

Helmut Höge

(80 Zeilen wurden gekürzt, d. Red)