GEZÄHMTER TOURISMUS

■ Nur sieben Tage steht Burma den Touristen offen

Burma ist eine Ausnahme in Südostasien. Es ist nicht nur das einzige Land mit einem real existierenden buddhistischen Sozialismus, sondern kann auch mit einem interessanten Tourismuskonzept aufwarten. Während das angrenzende Thailand sich bei allen denkbaren Zielgruppen von teutonischen Bumstouristen über tempelsüchtigen Oberstudienräten bis hin zu ganjageilen Travellern anbiedert und sich in der Hoffnung wiegt, durch eine flächendeckende Prostitution von Land und Leuten Mallorca den Rang abzulaufen, übt Burma sich in vornehmer (und wohl auch weiser) Zurückhaltung. Anders als in Ländern wie Kampuchea und Vietnam etwa geht die tourismusbezogene Abschottung aber nicht (mehr) so weit, daß nur - wenn überhaupt - Gruppenreisenden für eine Rundtour auf vorgezeichneten Pfaden die Einreise gestattet wird. Diesem Konzept folgte man zwar noch in den Sechzigern, als unter dem durch einen Staatsstreich an die Macht gekommenen General Ne Win allgemein isolationistischen Tendenzen der Vorrang eingeräumt worden war. Doch mit dem Anfang des vergangenen Jahrzehnts schwenkte man auf ein anderes Konzept um.

Das von rund 35 Millionen Menschen bewohnte und im Vergleich zu Italien doppelt so große Land zwischen Thailand, Bangladesh, Laos, China und Indien mit tausenden von bizarren Tempelanlagen läßt sich nunmehr in seiner Tourismuspolitik von der Devise „klein aber fein“ leiten. Dreh- und Angelpunkt der burmesischen Tourismusstrategie ist seit 1971 die strikte Beschränkung der Aufenthaltsdauer auf sieben Tage. Nur wer als Ausländer Anhänger der Lehre Buddhas ist, hat die Möglichkeit, sich zum Zwecke der Meditation und des Studiums auch für längere Zeit in eines der dafür zur Verfügung stehenden Klöster zurückzuziehen. Allen anderen öffnen sich auf die Stunde genau lediglich für eine Woche die Tore der (Flug-)Häfen des Landes (eine Einreise auf dem Landweg ist nicht möglich). Sehr zum Ärger derjenigen, die den Weg dorthin überhaupt gefunden haben, und zur sanften Abschreckung für diejenigen, die überlegen, ob sich ein Abstecher nach Burma überhaupt lohnt.

Abschreckend wirkt seit kurzem zudem die Pflicht zum Umtausch von mindestens 100 Dollar. Vorbei die Zeiten, als der zum Zwecke der Erteilung eines neuen Visas bei Wiedereinreise sich von Bangkok nach Rangoon begebende Long -time-traveller Burma zum Preise eines Tickets erleben konnte. Einer solchen, wie stets über die lokalen und zeitgemäßen Möglichkeiten des alten Spiels Glasperlen statt Gold wohlinformierten und infolgedessen mit einer Stange „555“ und einer Flasche Whiskey wohlversorgten „Langnase“ stand nämlich ein immenser Schwarzmarkt für den Verkauf dieser besonders für Hochzeitsfeierlichkeiten fast als unentbehrlich geltenden, statusförderlichen Produkte offen. Mit dem Erlös können mit Leichtigkeit alle notwendigen Ausgaben der burmesischen Woche gedeckt werden.

Zwar dürfte sich mit dem Mindestumtausch die Zahl der eingeflogenen Flaschen nicht unbedingt drastisch reduziert haben, doch partizipiert nun zumindest auch der Devisenvorrat des zu der Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer zählenden Burmas (BSP pro Kopf 200 Dollar), wenn auch in bescheidenem Umfang, an den „Segnungen“ des Reisefiebers der nach Ursprünglichkeit und Originalität hungrigen Round-the-world-traveller-scene - und nicht nur seine Hochzeitsgesellschaften.

Einmal angekommen, steht dem Reisenden prinzipiell fast das ganze sich von Nord nach Süd über rund 2.000 Kilometer erstreckende Land offen. Ausgenommen davon sind nur einige Grenzregionen, in denen Opiumanbau betreibende Warlords und verbliebene Reste aufständischer Gruppen der Armee sporadische Scharmützel liefern. Gruppenreisen sind zwar möglich, aber kein Muß. Faktisch zwingt und verführt allerdings die begrenzte Aufenthaltsdauer in Kombination mit einer von „Tourist Burma“, dem staatlichen Reisebüro, exakt ausgeklügelten Abstimmung von Reise- und Abfahrtszeiten der diversen Verkehrsmittel auch den Individualtouristen zur Konzentration auf den Treck. Allerdings muß er dann auf eine oder mehrere der Hauptattraktionen (Mandalay, Lake Inle, die Dampferfahrt den Irrawady hinunter und die Ruinen von Pagan) verzichten.

Die positive Seite dieser Konzeption liegt auf der Hand. Niemand braucht sich gegängelt zu fühlen, obwohl nahezu jeden die normative Kraft des faktisch allgemeinen Strebens nach dem „Alles-Sehen-Wollen“ in ihren Fängen - und damit auf den vorgegebenen Routen - hält. Land und Leute sind so relativ sicher vor sich einnistenden Traveller-Kolonien im Stile von Goa, Poona, Pataya oder Kuta-Beach mit all ihren negativen Auswirkungen kultureller, ökonomischer wie auch ökologischer Art. Den „Enkeln“ der Erstlingsbesteiger und Guide-book-Autoren eröffnet sich parallel dazu weiterhin die Chance, wenigstens in etwa noch das Bild anzutreffen, das sich einstmals der Avantgarde des Massentourismus dargeboten hatte - ohne daß sie gezwungen werden, lediglich noch Qualitätsvergleiche zwischen den lokalen Fast-Food -Niederlassungen und den heimischen Dependencen desselben Konzerns anstellen zu dürfen.

Unter diesen Aspekten wären dem „Modell Burma“ möglichst viele Nachahmer zu wünschen, auch wenn es nach Ablauf der sieben Tage noch so bitter erscheint, dieses faszinierende Land wieder verlassen zu müssen. Dieses Land, das den Lockungen des Trugbildes vom „Tourismus als dem Entwicklungshelfer Nummer eins“ im Gegensatz zu so vielen anderen bis jetzt nicht erlag und sich dadurch genau das bewahrt hat, was nicht wenige Mitlieder der Traveller -Gemeinde immer öfter vergeblich suchen: ein eigenes Gesicht.

Jochen Fuchs