Der Preis ihrer Arbeit ist Armut

■ Für die politische Arbeit gab Eva Quistorp, prominente Friedensfrau und Feministin, ihren Beruf auf - heute droht ihr die Verarmung / Die grüne Partei, deren Gründungsmitglied sie ist, trägt zumindest Mitverantwortung

Gunhild Schöller

Ich habe mich immer mehr um die Bewegung gekümmert als um Geld“, Eva Quistorp lächelt, in ihren Augen liegt dabei eine Spur von Nervosität. Daß sie ihre persönliche finanziellle Absicherung gegenüber den Zielen der Frauen- und Friedensbewegung hintanstellte, droht ihr jetzt zum Verhängnis zu werden. Eva Quistorp, vielen bekannt als prominente Vertreterin der „Frauen für den Frieden“, als Feministin und Mitgründerin der grünen Partei, lebt heute von einem äußerst schmalen Arbeitslosengeld. Es ist so wenig, daß sie es sich eigentlich nicht mehr leisten kann, sich im öffentlichen Raum zu bewegen und Politik zu machen. Das Besondere an ihrem „Fall“: Für ihre Verarmung trägt die Grüne Partei zumindest eine Mitverantwortung.

Zwei Jahre lang hatte Eva Quistorp bei den Grünen als Bundesvorstandsmitglied einen niedrigen Einheitslohn bezogen, entsprechend niedrig fällt ihr Arbeitslosengeld aus, nachdem sie im Frühjahr in dieses Gremium nicht mehr wiedergewählt wurde. Abrupt war sie von den Grünen dann in die Armut entlassen worden. Bevor sie bei den Grünen dieses Amt angetreten hatte, lebte sie zwar auch von Arbeitslosengeld und -hilfe (mehrere Jahre arbeitete sie full-time ehrenamtlich im Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung), aber da hatte sich dieses noch nach ihrem Lehrerinnen-Gehalt berechnet. „Ich habe jetzt deutlich weniger Arbeitslosengeld als zuvor“, Eva Quistorp ist aufgebracht und will ihre bedrohliche soziale Lage, die in gewisser Weise typisch ist für Frauen, nicht einfach hinnehmen.

Über dieses immer noch „peinliche“ Thema, die Armut, in der sie plötzlich lebt und die ihr Älterwerden zu prägen droht, sprach Eva Quistorp (42) zum erstenmal öffentlich. Im Kreuzberger Frauenstadtteilzentrum „Schokofabrik“ dachte sie laut über ihre „typisch weibliche“ Politiklaufbahn nach. Ein bißchen komisch ist es doch: „Obwohl ich die Grünen mitgründete, habe ich überhaupt keine Karriere gemacht. Wollte das auch nicht“, fügt sie dann schnell hinzu.

„Die Frauenbewegung sieht ihren Zustand und ihre Zukunft in der Lage der älteren Frauen“, sagt sie und meint damit sich selbst. Tatsächlich setzt ihre jetzige Situation ein Signal, das weit über ihre persönliche Biographie hinausreicht: Wie leben Frauen, die sich jahrelang für ein geringes Gehalt oder völlig unbezahlt für die Frauenbewegung (und nicht nur für diese) engagierten? Wie kann die drohende Armut dieser älteren Feministinnen abgewendet werden? Eva Quistorp hätte mit ihren Fähigkeiten und Kenntnissen viel Geld und einen satten Pensionsanspruch verdienen können - hätte sie sie nicht für die Frauen- und Friedensbewegung verwendet. Wenn eine Frau, die sich in dieser Weise politisch exponiert hat, später den Gang zum Sozialamt antreten muß, dann sind die Jüngeren „gewarnt“. Sie werden sich hüten, sich so weit vorzuwagen.

Ein Thema, das eigentlich die Grünen, die „jugendfreie“ Partei, die auch so gerne Wortführerin in der Sache der Frauen sein möchte, interessieren müßte. Aber der Antrag von Eva Quistorp an den neuen Bundesvorstand, ihr zumindest für drei Monate als Übergang für eine Zeit der Neuorientierung ihr Gehalt weiterzuzahlen, wurde abgelehnt. „Aus grundsätzlichen Erwägungen“ sei dies nicht möglich, lautete die lapidare Absage, denn es gebe dafür „keine Beschlußgrundlage“. Mit Formalien wurde das Nachdenken vermieden. Dabei gäbe es gute Gründe, über die (auch geschlechtsspezifischen) Ungerechtigkeiten, die die grünen Strukturen hervorbringen, zu reflektieren. So wurden auf der formalen Ebene die ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder Lukas Beckmann und Eva Quistorp gleichbehandelt. Beide wurden von der Gehaltsliste gestrichen und mußten zum Arbeitsamt. Während Beckmann aber zuvor jahrelang als Geschäftsführer der Grünen gut verdient hatte und nun ein entsprechend höheres Arbeitslosengeld bezieht, rutscht Eva Quistorp beim gleichen „Vorgang“ an die Armutsgrenze.

Im Gegensatz zu anderen grünen PolitikerInnen hat Eva Quistorp auch nicht „vorgesorgt“. Weder hat sie sich einen „Werkvertrag“ in Bonn geangelt, noch arbeitet sie zielstrebig an einer Wiederwahl zu einem grünen Amt. Andere grüne PolitikerInnen rotieren von einem Amt ins andere aber auch darüber wird im Bundesvorstand nicht gerne gesprochen. Denn dieses Verhalten stellt die vielbeschworene Unabhängigkeit der grünen PolitikerInnen von der Parteikasse, die doch Garant sein sollte für radikale Politik, in Frage. Chancen, als Lehrerin wieder eingestellt zu werden, hat Eva Quistorp nicht. Schon vor Jahren war ihr bedeutet worden, daß bei einem solchen politischen Engagement keine Bewerbung Aussicht auf Erfolg habe. In einer Zeit, in der sich Lehramtsbewerber gegenseitig auf die Füße treten, ist es auch nicht mehr nötig, ein Berufsverbot offen auszusprechen. „Außerdem bin ich so eine altmodische Pflanze, die nicht gelernt hat, in Alternativprojekten Geld zu verdienen. Ich habe auch da immer umsonst gearbeitet“, meint sie zu ihren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.

Pech für Eva Quistorp, daß sie auch zwischen diese alternativen Raster fällt? „Durch krasse soziale Unterschiede machen sich die Grünen unglaubwürdig und schwächen sich“, meint sie und denkt dabei auch daran, daß die Grünen in ihrem Programm ein staatliches Mindesteinkommen von 1.200 Mark für jede(n) fordern. Während die Forderung an den Staat einfach zu stellen ist, scheint den Grünen der Gedanke fremd, diese Fürsorge in den entsprechenden Situationen den eigenen Leuten zugute kommen zu lassen. Eva Quistorp ist noch zögernd, aber eine andere Frau bringt die Stimmung im Publikum auf den Punkt: „Die grüne Partei hat genug Geld. Es ist ein Skandal, wenn sich ihre Situation nicht schleunigst verbessert.“