„Nachts kommen die schwarzen Gedanken“

Seit zehn Tagen sind Polen in einem österreichischen Flüchtlingslager im Hungerstreik / Von den ursprünglich 86 sind bereits sechs abgeschoben / Sie hungern gegen das Schnellverfahren, in dem ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wird  ■  Aus Wien Oliver Lehmann

Die Flüchtlinge sind ohne Geld in das Lager Traiskirchen, 30 Kilometer südlich von Wien, gekommen und erwarten vom österreichischen Staat Hilfe und politisches Asyl. Doch geboten wird ihnen statt Hilfe der Rat, möglichst schnell in ihre Heimatländer zurückzukehren.

Für Ungarn und Polen gilt seit dem 9.Mai das sogenannte Schnellverfahren: Innerhalb weniger Wochen wird jetzt darüber entschieden, ob der Asylbewerber als politischer Flüchtling anerkannt wird. Die Beamten des Innenministeriums lehnen 97 Prozent der Anträge ab. Gegen dieses Verfahren gingen in Traiskirchen 86 Polen am 27.Juni in Hungerstreik. Heute sind es noch immer 66, die die Nahrungsaufnahme verweigern.

Einer der vier Sprecher der Streikenden, Tadeusz Kramasz, 25, beschreibt das Verfahren: „Bei den Gesprächen sind ein Beamter des Innenministeriums und ein Dolmetscher dabei. Mir hat die Dolmetscherin gleich zu Anfang gesagt, ich soll gleich nach Polen zurückgehen. Als ich ihnen mit Dokumenten beweisen wollte, daß ich politisch in Solidarnosc tätig war und sieben Monate wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt im Gefängnis gesessen bin, haben sie gesagt, die Dokumente sind gefälscht.“ Er muß jetzt damit rechnen, nach Polen abgeschoben zu werden.

Denn die Beamten des österreichischen Innenministeriums versuchen den Widerstand der 66 Polen im Hungerstreik zu brechen. Nachdem am Montag bereits drei unter Verletzung der geltenden Bestimmungen abgeschoben wurden, wurden am Mittwoch erneut drei Polen über die Grenze gebracht.

Ein Gespräch mit den vier Sprechern der Hungerstreikenden ist schwierig. Nach zehn Tagen Hungerstreik haben sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren.

Ryzard Gizowski, 35, der mit seiner Frau zusammen im Hugerstreik ist, hat Angst um seine Familie in Polen. Der Mann hat nach zehn Tagen 16 Kilo abgenommen. Doch von den vier Sprechern hat er noch die meiste Kraft, die anderen überlassen ihm das Reden. Er hat den Bescheid erhalten, daß er vom Schnellverfahren in das normale Verfahren überstellt wird. Das bedeutet, daß er und seine Frau in Österreich bleiben können, auch wenn nach jahrelangem Warten entschieden wird, daß sie keine politischen Flüchtlinge sind. Wie alle anderen Streikenden war das Paar in Polen politisch tätig und muß bei Rückkehr mit Strafverfolgung rechnen. Warum er und seine Frau vom Schellverfahren befreit wurden, weiß er nicht. „Die Entscheidungen sind willkürlich.“

Jacek Stejpien erwartet in Polen eine Haftstrafe. Er war in der Untergrundsolidarnosc aktiv. Nach seiner Flucht über Jugoslawien rief er zu Hause an: „Ein Freund hat mir gesagt, daß der Staatssicherheitsdienst meine Wohnung durchsucht hat und auf meine Rückkehr wartet.“

Anrzey Marciniak, 36, hat trotz der Sommerhitze einen Pullover an: Er wird einer der nächsten sein, die ins Landeskrankenhaus Baden kommen. „Der Lagerarzt war noch nie bei uns. Einmal ist die Krankenschwester gekommen und hat uns gedroht, daß wir alle ins Krankenhaus kommen. Wir liegen zu acht in einem Zimmer, und die Stimmung in der Gruppe ist ziemlich gereizt, aber wir haben keine Kraft für Aggressionen“, erzählt er. Das schlimmste sei, daß keine Reaktion komme, Briefe an Innenminister Blecha und Bundespräsident Waldheim bleiben unbeantwortet, die Lagerleitung sucht kein Gespräch. Tadeusz Kramasz: „Wenn du in der Nacht daliegst, dann kommen die schwarzen Gedanken. Du denkst an die Konsequenzen in Polen, an die Abschiebung, und die Unsicherheit, ob du weitermachen sollst, wächst.“ Während er erzählt, kommen andere Flüchtlinge aus dem Lager an uns vorbei. Die meisten sind desinteressiert, versprechen sich bei Wohlverhalten eine positive Erledigung ihrer Anträge. Manche von ihnen kommen nach Traiskirchen, um bei freier Kost und Logis drei Monate schwarz auf den Baustellen der Umgebung zu arbeiten, bis sie dann abgeschoben werden.

Für die österreichischen Behörden aber ist es offenbar einerlei, warum Flüchtlinge hierher kommen, es gilt, die Zahl zu senken. Bei Ungarn hat ihre Taktik Erfolg, nur wenige stellen einen Antrag auf politisches Asyl. Die Streikenden grenzen sich von den Wirtschaftsflüchtlingen ab: „Wenn wir nicht aus politischen Gründen geflohen wären, würden wir dann die Qual eines Hungerstreiks auf uns nehmen?“