Urlaub bei den Killeralgen

■ Weniger Wanderspuren im Schlick / Fremdenverkehr fürchtet Nordsee-Schmutz genauso wie die drastischen Berichte darüber / „Perverse Werbung“ entdeckt

Mehr als 1,2 Millionen Bundesbürger machten sich im vergangenen Jahr auf den Weg, um frische Luft am Strand der südlichen Nordsee zu schnappen. Zuwachsraten im Geschäft mit Strandkorb und Sandburg waren in einem harten internationalen Wettbewerb die Regel, Rückgänge die

Ausnahme. Die Umsätze in den Hotels und Gaststätten stiegen in den Jahren zwischen 1978 und 1984 um gut ein Drittel auf annähernd 500 Millionen Mark. Auch in den Jahren danach meldeten die Industrie-und Handelskammern an der Küste Steigerungsraten.

Doch inzwischen sie die „Verunsicherung“ unter den Feriengästen gewachsen, stellt der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Küstenbadeorte an der ostfriesischen Nordseeküste, Bernard Thüer fest. Die Zahl besorgter Anfragen wegen der Luft-und Wassergüte an der Nordsee häufe sich. „In kleiner Zahl“ hätten angemeldete Gäste in diesem Jahr ihre Buchungen storniert.

Der Inhaber des „Kurhauses“ im ältesten friesischen Badeort Dangast, Karl-August Tapken hat in jüngster Zeit weniger Wanderspuren im Schlick des Jadebusens vor seiner Haustür ausgemacht als in früheren Jahren. Es gebe möglicherweise eine gewachsene Zurückhaltung, den Fuß in den als heilsam gepriesenen Schlick zu setzen. Daran habe auch nichts geändert, daß er, Tapken, demonstrativ baden gegangen sei.

Einen Einbruch im Geschäft beklagt Tapken dennoch nicht. „Wo sollen die Leute auch hingehen?“. Sie gewöhnten sich schließlich an die Verhältnisse, „wie die Bewohner des verseuchten Golfs von Neapel“, stellt er eher resignativ fest.

Über Mangel an Kunden klagen auch nicht die naturkundigen Führer, die in jedem Jahr Tausende durchs unsichere Watt vor der Nordseeküste geleiten. Mehr besorgte Fragen als früher hat allerdings der Sprecher des Vereins der deutsch -niederländischen Wattläufer, Arne Uhlitzsch in Esens (Kreis Wittmund) in diesem Jahr gehört. Zugleich beklagt er, daß kaum jemand seine eigene Mit-Urheberschaft für die Umweltbelastung als Verbraucher erkenne. Mit dem Hinweis auf den „Sündenbock“ Industrie sei es für die meisten getan. Er vermisse den Zorn, der etwas bewirken könne. Mit seiner Familie gehe er nicht mehr in der Nordsee baden, versichert Uhlitzsch. Das sei allerdings eine persönliche Entscheidung. Die Luft an der Nordsee ist nach seiner Beurteilung immer noch „super“. Aus

genommen die Tage, an denen die Abluft von Müllverbrennungsschiffen auf der Nordsee herübergeweht werde.

Demonstrative Einzelaktionen, beispielsweise von Greenpeace finden die Unterstützung der Fremdenverkehrswirtschaft. „Horrormeldungen am laufenden Band“ dagegen fürchte sie, meint ihr Sprecher Thüer. Als vor kurzem ein Wattenmeer -Informationszentrum in Dornumersiel (Kreis Aurich) eingerichtet wurde, nahmen Kutterfischer kurzerhand einige Fotos mit, die geschwürbedeckte Fische und Seehunde zeigten. Ihrer Ansicht nach verderben derartige Bilder in erster Linie den Appetit auf Fisch und den Fischern die Existenz. Die Urheber der Nordseeverschmutzung blieben davon unberührt.

In „perverser Weise“, wie Wattführer Uhlitzsch meint, machen sich inzwischen einzelne Reiseveranstalter die Nordseeprobleme zunutze. Ein Unternehmer habe kürzlich mit einem „Ausflug zu den Killeralgen“ an der ostfriesischen Küste geworben.

Manfred Protze (dpa)