Demokratisierte Stadt

■ Verpaßte Chancen und ein „neuer“ alter Stadtplan

Diesem Stadtplan fällt die Orientierung schwer. Ein bisher weitgehend unbekanntes Kapitel der Lokalgeschichte hat die Berliner Geschichtswerkstadt ausgegraben und der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht: Ein Stadtplan, der seinem Namen in doppelter Hinsicht Ehre macht. Er zeigt den weiteren Innenstadtbereich und er enthält die 1945 geplanten neuen Straßennamen, zu denen es aber in den weitaus meisten Fällen nicht gekommen ist.

Da gibt es zum Beispiel in Friedenau keinen Friedrich -Wilhelm-, sondern einen Engels-Platz, die Weddinger Seestraße ist nach einem Antifaschisten in Willi-Jahn-Straße umbenannt, und die Kaiserin-Augusta-Allee in Moabit heißt Thälmann-Allee. Der Schwarzsche Stadtplan, Stand Januar 1946, dokumentiert den vergeblichen Versuch einer Vergangenheitsbewältigung unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur. Über das Verschwinden des „Adolf-Hitler -Platzes“ (heute Theodor-Heuss-Platz) und der „Hermann -Göring-Straße“ (heute Stresemannstraße) brauchte man nicht zu diskutieren, in den einzelnen Stadtbezirken wurden aber auch Vorschläge gesammelt, um die Symbole für Militarismus und Monarchismus von den Straßenschildern zu verbannen. Außerdem sollten die zahlreichen Doppelbenennungen (über ein Dutzend „Berliner“ Straßen) beseitigt werden. Die Vorschläge wuchsen zu einer wahren Flut an. Ende 1945 waren es schon 1.600 für die etwa 10.000 Straßen im Berliner Stadtgebiet. Die Zentralstelle im Roten Rathaus gab diese noch nicht endgültig beschlossenen Änderungen an den Landkartenverlag Schwarz weiter. Ohne die endgültige Bestätigung durch den Magistrat abzuwarten, „demokratisierte“ der Verlag das Berliner Stadtbild voreilig, allerdings vorsichtig, indem die neuen Namen in kleine rote Klammern gesetzt wurden.

Doch es kam anders.

Bürokratische Verzögerungen und schließlich „Kalter Krieg“ und Blockade machten die geplanten Umbenennungen größtenteils zunichte. So zeigt der Schwarzsche Stadtplan von 1946 291 neue Straßennamen, die meist Wunschvorstellung blieben.

Das Dokument der verpaßten Vergangenheitsbewältigung kostet 10,- DM und ist über den Laden Berliner Geschichtswerkstatt, Goltzstr. 49 in Schöneberg, und im Buchhandel zu beziehen.

Hinweis: Das „Mobile Museum“ der Berliner Geschichtswerkstatt (ein ausgedienter BVG-Bus) zeigt vom 23. Juli bis 7. August am Platz der Luftbrücke den zweiten Teil des Ausstellungszyklus „Geschichte der Berliner Straßennamen“ über das „Fliegerviertel“, das nach den Plänen 1945 ein „Pazifistenviertel“ werden sollte.

Jürgen Karwelat