Tegel im Nirwana der Geschwindigkeit

■ „Großer Preis von Deutschland“ auf dem Tegeler See: Diepgen als Chef-Ideologe der Motorbootsportler / ADAC im Dschungel der Umweltschützer einmal im Juli erfolgreich / Trotz Lärm und Dreck: Raserei gehört zur weltoffenen Kulturstadt

Einmal im Jahr geben sich ölverschmierte Tüftler und Bastler auf dem Tegeler See ganz ihrer Leidenschaft hin. Öfter dürfen sie ihre selbstgebauten Holzkästen (Motorboote von 250 cm3 bis 700 cm3) nicht über das Wasser jagen. Traurig, traurig - findet auch Gerhard Gottlieb (ADAC -Vorstandsmitglied für Sport), der zur Ausrichtung des „Großen Preises von Deutschland“ am Wochenende im Programmheft nicht verschweigen will, „daß Berlin im Jahr 1988 als Kulturstadt und als angeblich weltoffene Sportstadt zunehmend den Motorsportveranstaltern mit fast unerfüllbaren Auflagen, Erschwernissen und Einschränkungen die Existenzgrundlagen zu nehmen bereit ist.“

Aber die Motorfreunde haben natürlich doch wieder einen Weg durch das Meer der Umweltschützer gefunden und sich einen Pfad durch den Dschungel der Behörden gebahnt. Der wortgewaltige Eberhard Diepgen hat übrigens mit seinen tiefen Einsichten dazu die ideologische Rückendeckung geleistet: „Die Metropole Berlin mit ihrem Häusermeer für fast vier Millionen Einwohner ist dennoch eine Stadt dicht am Wasser.“ Daraus folgt: „Gewässerschutz und Motorsport können immer einen guten Kompromiß finden.“

Allerdings ein verdammt lauter Kompromiß. Über den Köpfen donnert der Fluglärm der startenden Maschinen in Tegel, auf dem Wasser gehen insgesamt 76 Piloten aus fünf Ländern auf dem 1500-Meter-Rundkurs mit knapp 170 km/h und einem Höllenlärm ins Nirwana des Geschwindkeitsrausches ein. Nur an den Wendemarken kehren die flach in ihren Booten liegenden Fahrer durch eine Verlangsamung ihrer mit hochexplosivem Methanol betriebenen Schiffe in die Wahrnehmungsbereiche normalsterblicher Kleinbootkapitäne zurück. In den Kurven haut es die einen weit aus ihrer Optimallinie ins Jenseits der Rennstrecke, woraus die anderen den rennentscheidenden Profit schlagen. Auf der von Lastschiffen begrenzten Gerade kommt es dann nur auf den kleinen Motor an: Gib ihm. Der vordere Teil des Bootes schlägt nach jeder Welle hart aufs Wasser, die Erschütterungen der behelmten Piloten müssen fürchterlich sein.

Doch der Rausch hat seinen Preis: Durch zahlreiche Motorschäden werden die Geschosse beizeiten zu Paddelbooten, die Piloten bei schweren Unfällen zu Toten. Glimpflich ging es diesmal für Carina Eriksson aus Schweden ab: ihr Schiff soff ab wie die gute alte Titanic und sie kam mit einem Schrecken davon. Dafür stürzten ihre Mechaniker in die schmutzigen Fluten, bargen die Überreste und trugen das Sportgerät wie einen Sarg stolz auf Händen an Land. Fleißig putzten sie dann das Gefährt, säuberten den Motor, schauten zwischen Vergaser und Auspuff, doch all ihre Liebe wollte nicht helfen. Kein Knattern entwich mehr dem Boot.

Ähnliche Probleme hatte auch der als Favorit eingeschätzte Manfred Loth aus Berlin. In den Wasserfontänen seiner Gegner hauchte sein Motor gleich an der ersten Wendemarke sein kurzes Leben aus. Der Zimpel-Motor (so benannt nach seinem Erfinder) wollte nicht mehr, obwohl der Konstrukteur eigens aus der DDR nach West-Berlin angereist war.

Augenzeuge der Wasserflitzer war auch der stellvertretende Vorsitzende des ADAC Berlin, Wolfgang Ölschläger. Selbiger schämte sich am Sonntag: „Ich schäme mich zu sagen, daß bei uns in bezug auf die Umwelt alles gut sein soll. Natürlich verschmutzen die Boote durch den Treibstoff auch das Wasser. Andererseits wird durch die Oberflächenverwirbelung das Wasser auch mit Sauerstoff angereichert. Schließlich darf man auch nicht vergessen, daß zum Mosaik des Großstadtlebens auch der Motorbootsport dazugehört.“

Biologe Diepgen meinte das übrigens auch: „Und auch der Motorsport gehört zu diesem bunten Strauß Berliner Seerosen.“

Joop Springer