Scheibengericht: Schostakowitsch / Laibach / W.A. Mozart / Astor Piazolla / Joseph Haydn / Mofungo / F.Mendelssohn-Bartholdy / L.van Beethoven / Passage Four / Quinteto Violado / Bobby McFerrin

MONTAG, 11/7/8815 oDMITRI SHOSTAKOVICH:

Symphony No.9 op.70/Festive Overture op.96/Suite from 'Katerina Ismailova'/Tea for two op.16. Scottish National Orchestra, Neeme Järvi. Chandos Rec. ABRD 1279

Die 9.Sinfonie und die Suite aus 'Katerina Ismailova‘ auf einer Platte herauszubringen hat wenigstens historisch einen Sinn. Die Oper Lady Macbeth von Mtsensk, aus der die Suite zusammengestellt ist, wurde unter Stalin ebenso geächtet wie die Neunte, die nach dem Sieg der Roten Armee über die deutschen Aggressoren triumphal zu sein hatte zum Ruhme der Sowjetunion und ihres genialen Führers Stalin. Auf Anweisung Stalins aber waren auch einige der besten Freunde Schostakowitschs liquidiert worden, und so schrieb der Komponist eine Neunte, die wie eine Ohrfeige wirkte. Die heroischen Gesten sind zum Totlachen grotesk, die sinfonische Struktur wird ebenso konsequent demontiert, wie sie aufgebaut wurde. Die Unverschämtheit dieser Musik, das verrückte Nebeneinander von Witz und Trauer wirkt noch heute - allerdings nicht in der vorliegenden Aufnahme. Dies ist die miserabelste Neunte, die ich bisher auf Platte gehört habe. Es würde mich nicht wundern, wenn das schottische Nationalorchester die Sinfonie ohne eine Probe vom Blatt gespielt hätte: Sie ist voller Ungenauigkeiten, Intonationsfehler, falscher Bläsereinsätze, falscher Tempi, sinnloser Gewichtungen der Instrumentalgruppen, ohne Gefühl und Verstand. Es ist eine Schande. oLAIBACH:

Krst pod Triglavom-Baptism. Walter Ulbricht Schallfolien WULP 005.6/sub rosa SUB 33006/7-9

Laibach schiebt den Faschismusvorwurf oder den Faschismusverdacht wie eine Bugwelle vor sich her. Ich bin fast sicher, daß ihre Musik im Dritten Reich verboten worden wäre. Es gab keine faschistische Musikästhetik, sondern es gab verfemte Kunst. Laibach provoziert mit einer musikalischen Sprache, die mit Samplertechnik den Jargon und das Klangbild der alten Wochenschau-Propaganda imitiert. Aber sie schlagen und drehen das ganze durch die minimalistische Gebetsmühle und rezitieren darüber Sprüche meist jugoslawischer Politiker. Der heikle Griff in die Gespensterkisten entpuppt sich aber nicht als Kunstgriff zur Klärung des Zusammenhangs von Macht und Propaganda, sondern beschwört beharrlich die Verkettung von Staat und Ritual. Aus alten und neuen Stücken hat Laibach nun die Theatermusik für das rituelle Stück Krst pod Triglavom-Baptism des Theaters Scipion Nasice gebastelt, als „Klangniederschrift einer Taufe“. Mit dem dunklen Geraune, das die Stückbeschreibung ersetzt, kann ich wenig anfangen. Von Laibach jedenfalls kommt nur das, was man von ihnen gewohnt ist: das stur stampfende Schlagzeug, die dräuenden Blechfanfaren, die zynischen Zitate und immer wieder die gellenden Sprechchöre: „Raus! Das ist das Ende, das Ende der Welt!“ oWOLFGANG AMADEUS MOZART:

Konzert für Klavier und Orchester Nr.25 C-Dur KV 503/Konzert für Klavier unde Orchester Nr.26 D-Dur KV 537 „Krönungskonzert“. Malcolm Bilson, Hammerklavier; The English Baroque Solists, John Eliot Gardiner. Polydor Archiv CD 423 119-2

Malcolm Bilson spielt zu den anderen Originalinstrumenten konsequenterweise das leise, verschnupfte Hammerklavier. Das klingt befremdlich, weil das Soloinstrument nicht die ihm gebührende Klangpräsenz hat und nahezu im Orchester verschwindet. So wirkt auch die musikalische Rhetorik zurückgedämpft und unpersönlich. Die Klavierkonzerte sind außerordentlich sauber und präzis ausgeführt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. oASTOR PIAZZOLLA:

Concierto para Bandoneon/Tres Tangos. Orchestra of St. Luke's, Lalo Schifrin. Nonesuch/WEA 979 174-1

Jeder volksmusikalische Typus bleibt lebendig, solange das Bedürfnis besteht, ihn „konservativ“ zu verschärfen, in immer neuen Anläufen seine wesentlichen Elemente auf's Spiel zu setzen, ohne sie zu verspielen. Astor Piazzollas Verdienst besteht darin, den Tango von seiner traditionellen Beschränkung emanzipiert zu haben, das enge Repertoire der Formeln mit dissonanten und chromatischen Mitteln überschritten zu haben. Viele Bandoneonisten haben davon profitiert und trieben diese Entwicklung auf eigene Weise voran. Juan Jose Mosalini etwa gelang es, mit einer hochentwickelten Instrumentaltechnik eine sehr zeitgenössische Tangomusik zu erfinden, die die Gestik so ernst nahm, daß sie auf die melodisch-harmonischen Formeln verzichten konnte. Ganz anders arbeitet Piazzolla. In seinem Bandoneonkonzert, das der Struktur des barocken concerto grosso folgt, ist die Idee des Tango nicht ins Besondere, sondern ins Allgemeine übersetzt. Die zwanghaften rhythmischen Zuckungen des Soloinstruments auf dem Hintergrund des harmonisch verunklarten Orchesterparts geben kaum noch eine kompositorische Idee preis. Das Konzert wirkt wie eine Materialschwemme ohne spezifisches Gewicht. Einen etwas anderen Charakter haben die drei Tangos für Bandoneon und Orchester. Da ist die Kluft zwischen der kitschig -sentimentalen Sologeige und den ruppigen Clustern des Bandoneons aufgerissen, aber schließlich wird diese Konfrontation im Tango-Mahlstrom zu einem modernen Ungefähr zerrieben. oJOSEPH HAYDN:

Symphonie C-Dur Hob. I:90/Symphonie D-Dur Hob. I: 93. Orchestra of the 18th Century, Frans Brüggen. Philips 422 022-1

Das Orchester des 18. Jahrhunderts spielt auf Originalinstrumenten. Aber nicht mit diesem aufkratzenden Effekt der Harnoncourtschen Frühbarock-Ausgrabungen; eher schon vermittelt es eine Ahnung davon, daß Haydn-Sinfonien auf modernen Instrumenten im Grunde schon Bearbeitungen sind. Das Angenehme an Haydn ist, daß er so einfach wie möglich schrieb und uns Zeit läßt zuzuhören. Das gelingt einem nur, wenn er souverän über seine Mittel verfügen kann. Frans Brüggen, der renommierte Blockflötist, legt als Dirigent Wert auf diese erfahrene Gelassenheit. Er forciert nicht, er verschleppt nicht, und er verwandelt den musikalischen Witz nicht in einen Gag. Er disponiert nach der Dimension der kompositorischen Idee und läßt so die Musik zu sich selbst kommen. oMOFUNGO:

Bugged. SST Rec. SST 191

Mofungo gibt es seit fast zehn Jahren. Gegründet vom Gitarristen Willie Klein und vom Bassisten Robert Sietsema, gefördert und produziert von Elliott Sharp, der auch Bassist der Gruppe ist, macht Mofungo das, was man einst Protestsongs nannte; nur eben nicht im nuschelnd-nölenden Predigerton Dylans und ohne pädagogische Hämmer-Akkorde so vieler Eisler-Imitatoren. Gesungen wird von der neuen Armut in den USA, vom Nationalhelden Oliver North, von der Häuserspekulation in New York oder den zynischen Geschäften der Holy rollers. Bugged ist nicht gerade eine sensationelle Platte. Immerhin äußert sich da eine Gruppe zum Elend des Reaganism, die sich zur New York Underground Music zählt, einer Szene, in der man bisher politische Opposition allenfalls mit einer musikalischen Ästhetik kundtat, die den Jasagern Alpträume bereiten sollte. Davon ist natürlich noch genug zu hören: Zwei, drei voneinander unabhängige figurative Gitarrenpatterns sind zu einer holprigen, dissonanten Klangschicht zusammengelegt, die mehr der Hervorbringung von Obertönen dient als irgendeiner Korrespondenz zum Text. Aber es gibt auch schräge Stilzitate von Folk-Balladen und Hymnen, in denen das Engagement eben populär klingt. oFELIX MENDELSSOHN- BARTHOLDY:

Sämtliche Ouvertüren. Volume 1. Nürnberger Symphoniker, Klauspeter Seibel. Colosseum CD COL 34.9007

Man möchte den Nürnbergern gern einen Schubs geben: Weiter gehen! Mehr Mut zur Romantik! - Wobei Romantik nicht das schwärmerische Verströmen tönender Gefühle meint, sondern komponierte Künstlichkeit, kalkulierte Effekte, funktionelle Virtuosität, alles, was die Arbeit der Tonerzeugung vergessen läßt. Daran haben die Romantiker lange gefeilt, und gerade Mendelssohn steht für penible Ausarbeitung, kritische Bearbeitung und wiederholte Revision seiner Partituren. Auf dieser ersten CD sind die Ouvertüren der 1820er Jahre versammelt: Die Hochzeit des Camacho (die einzige Oper Mendelssohns), die Trompeten-Ouvertüre, Ein Sommernachtstraum, Meeresstille und glückliche Fahrt, Die Heimkehr aus der Fremden und die Hebriden. Sie sind alle sehr ordentlich geraten, das heißt, der Sommernachtstraum ist kein luftig-flirrender Klangspuk, sondern ein Figurenwerk, und die jubelnde Freude in der Heimkehr aus der Fremden ist wohl einer tiefen Depression abgerungen. oLUDWIG VAN BEETHOVEN:

Steichquartett Nr.12 Es-Dur/Streichquartett Nr.16 F-Dur. Guarneri Quartet. Philips CD 420 926-2

Wer sagt denn, daß die letzten Quartette des Titanen mit anämischer Tongebung vorgetragen werden müssen, als wär's schon Luft von einem anderen Planeten? Daß sich da neue Formen Bahn brechen, weil die alten die stetige Fortentwicklung der musiksprachlichen Arbeit nicht mehr zu fassen vermochten, zwingt ja noch nicht zur Änderung der Klangästhetik. Die Guarneris packen zu, wo es angebracht ist, und das trifft das erste wie das letzte der späten Quartette. Ich habe den Eindruck, daß man davon nie genug gehört hat. Man mag sie gut kennen und oft spielen und kann doch morgen wieder eine neue Entdeckung machen. Bei den Guarneris habe ich das Vivace aus op 135 „gefunden“: was für eine verrückte Idee, diese maßlosen Repetitionen und die rhythmischen Irritationen mittendrin! Warum soll ich darin Formprobleme sehen? Das ist die Überwindung eines Formproblems. Und immer da bleibt die Musik interessant. oPASSAGE FOUR:

Vlad speaks to Immanuel. Dossier ST 7545/EfA 08-07192

Als erste Plattenveröffentlichung von Passage Four aus dem römischen Underground wird das Werk angekündigt, das die Schwierigkeiten mit der italienischen Avantgarde zeigt. Die Enttäuschung, die in dieser Ankündigung versteckt ist, ist verständlich.

Das Titelstück beginnt anreißerisch mit einer elektronisch sequenzierten Schreietüde, mündet aber bald in Funk-Rock, und dann ist auch schon die Luft raus. Die anderen Stücke sind mehr oder weniger Verlegenheitsarbeiten, leere Spielereien im Gerätepark, gebräuchliche und verwechselbare Popsongs in harmonischer Paßform. „Vlad speaks to Immanuel“, lese ich, „ist das Ergebnis einer vierjährigen Arbeit“. Vielleicht ist das zu wenig, um eine eigene Idee zu bekommen.

Experten versichern mir: Es gibt keinen römischen Underground außer den Katakomben, und es gibt keine Avantgarde in Italien. oQUINTETO VIOLADO:

Kuire. Trikont/EfA 09-0141

Authentische Volksmusik aus Brasilien, das gibt es nicht. Mindestens drei Kontinente haben ihre Spuren in diesem Land hinterlassen; die brasilianische Kultur ist synthetisch. Das Quinteto Violado spielt deshalb „musica popular brasileira“, eine Musik, die volks- und popmusikalische Elemente miteinander verbindet. Das kann fürchterliche Folgen haben, und einiges auf dieser Platte hätte nicht mit drauf müssen. Trotzdem, die Gruppe hat Phantasie und überrascht immer wieder mit ausgefallenen Einfällen. Da wird plötzlich ein Samba mit wechselnden Metren konfrontiert, da bauen sich virtuose Gitarrenfiguren zu einer wuselnden Klangschicht auf, da brechen irreguläre harmonische Eingriffe den ewig heiteren Sing-Sang auf, und in die gitarristischen Verlaufsformen der „Pipoca Moderna“ wird mal eben die Bachiana Nr.5 von Heitor Villa-Lobos eingeschoben. Das Quinteto violado scheut kein Experiment. Nur so wird die Synthese nicht langweilig. oBOBBY MCFERRIN:

Simple Pleasures. EMI 064-7 48059 1

Ich habe diesen Baßbaritonalt schon lange bewundert. Er scheint in keiner Lage Schwierigkeit zu haben. Auf diese Palette hat er mit Mehrspurtechnik a-capella-Songs aufgenommen, davon fünf Eigenkompositionen. In den Bearbeitungen singt er die Stimmen der wichtigsten Instrumente mit. Für einige, besonders für Drive my Car von den Beatles und Suzie Q ist er einfach zu gut, das heißt, diese Stücke leben auch von den kleinen Unebenheiten, vom dirty Sound. Mit seiner weichen und unglaublich intonationsreichen Stimme schönt McFerrin die ungebärdigen Evergreens. Für alle seine Songs hat er einfache rhythmische und harmonische Strukturen gewählt, wobei er Belanglosigkeiten nicht vermieden hat. Daß das nicht seiner eigenen Beschränkung entspricht, hat er mit Vocal Summit bewiesen. Er wird uns doch nicht vor seinem eigenen Anspruch schützen wollen? o