„Die Formel des Todes: O3 + NO2 Hölle“

Auch in diesem Jahr droht die Hitzewelle in Athen zu einer Katastrophe zu werden / An 134 von 185 Tagen dieses Jahres wurden die Grenzwerte für die Stickstoffdioxid-Belastung überschritten / Bedrohung auch durch Kohlenmonoxid und Ozon  ■  Aus Athen Jessica Motz

Auf die „Formel des Todes: O3 (Ozon) + NO2 (Stickstoffdioxid) Hölle“ brachte die Athener Tageszeitung „Eleftherotypia“ die Situation vergangene Woche in Athen: 189 Tote, 4.184 Menschen mit Hitzschlag in den Krankenhäusern von Athen und Piräus - es sieht ganz so aus, als wiederhole sich die Hitzewelle vom Juli letzten Jahres. Damals war offiziell von 2.000 Toten die Rede gewesen, inzwischen sickert durch, daß es wohl über das Doppelte gewesen waren.

Auch jetzt versucht die Pasok-Regierung die Situation zu verharmlosen. „Alle notwendigen Maßnahmen seien getroffen“: die Krankenhäuser ausreichend klimatisiert und der durchgehende Beerdigungsbetrieb gewährleistet. Angestellte der Stadt brauchen dieser Tage im Freien gar nicht, in den Büros nur ein paar Stunden zu arbeiten, die klimatisierte Kongreßhalle ist allen Bürgern unentgeltlich zugänglich und ganze Familien haben dort ihre Lager aufgeschlagen. Andere schlafen in den staatlichen Strandbädern, die keinen Eintritt mehr verlangen und 24 Stunden geöffnet bleiben.

Über Presse und Rundfunk wiederholt das Gesundheitsministerium ständig gute Ratschläge: Leichte Kleidung, leichtes Essen, viel trinken und häufiges Duschen.

Dafür haben allerdings die Bewohner von 12 Bezirken von Großathen nur Zynismus übrig - dort gibt es nämlich außerdem schon seit vier Tagen nicht mehr genügend Wasser.

Aber auch sonst haben die Regierungsmaßnahmen nicht überzeugt. Von „Heuchelei und politischem Betrug“ spricht die „griechische Linke“. Nichts habe die Regierung getan, um den mörderischen Bedingungen zu begegnen - und mörderisch ist in Athen nicht nur die Hitze.

Vielmehr besteht die größte Gefahr in der Verbindung von hohen Temperaturen und Smog. Täglich werden die Smogwerte bekanntgegeben. Als zulässig werden laut EG-Bestimmungen 200 mg/m3 Stickstoffdioxid angesehen. Was diese EG-Richtlinie aber noch vorgibt, verschweigt das Umweltministerium: Der Grenzwert darf nur an höchstens sieben Tagen im Jahr überschritten werden. In den 185 Tagen des Jahres 1988 lagen die Werte in Athen 134 mal darüber.

Dabei bleibt die Belastung durch Kohlenmonoxid und durch das in letzter Zeit in hohen Konzentrationen nachgewiesene Ozon unberücksichtigt. Dieses Ozon entsteht in den niedrigen Luftschichten durch einen fotochemischen Prozeß unter anderem aus den anderen Schadstoffen und ist - anders als das Ozon in der Stratosphäre - für Menschen hochgradig gesundheitsgefährdend.

Die Langzeitwirkungen sind noch nicht abzusehen. Am vergangenen Mittwoch gingen im Meßinstitut des Umweltministeriums und im Industrieministerium Bomben hoch und verursachten erheblichen Sachschaden. Die Gruppe „Revolutionärer Kampf“ übernahm die Verantwortung und protestierte gegen die todbringende Umweltzerstörung des kapitalistischen Systems.

Die Regierung hat seit Jahren auf ihrem Programm stehen, die Industrieproduktion in der attischen Tiefebene zu vermindern. Aber auch in diesem Jahr sind wieder neue Betriebe zugelassen worden. Und so stoßen die Fabrikschlote zusätzlich zu den Auspuffgasen der eine Million Autos ihr Gift in den Großraum Athen.

Als am Freitag der Stickstoffdioxid-Gehalt den Alarmwert von 500 mg/m3 erreichte, wurde die Industrieproduktion in Attika um 30 Prozent gedrosselt - für 24 Stunden. Privatwagen durften uneingeschränkt fahren: damit die Flucht aus der Stadt zum Wochenende gewährleistet blieb.