Leder, Lack und falsche Carmen

Aktionstag der Aids-Hilfe-Gruppen in der Frankfurter Innenstadt / Protest gegen staatliche Zwangs- und Kontrollmaßnahmen - für ein selbstbestimmtes Leben / Grüne kniffen trotz Zusage / Autonome waren Mangelware  ■  Aus Frankfurt Michael Blum

„The Hot Rubber“: mit Gleitcreme, swiss-made - so steht's auf den in der Frankfurter Innenstadt verteilten Kondomen. Tausende davon bringt der Mann mit schwarzen Lederklamotten während des bundesweiten Aktionstages der Aids-Hilfe-Gruppen unters Volk. Der „nationale Aktionstag“ am Samstag ist Abschluß einer hessenweiten Aktionswoche der Aids-Hilfen. In sieben Städten Hessens hatten die regionalen Gruppen über die „Immunschwächekrankheit“ informiert.

Männer mit ihren schärfsten Fummeln aus Lack und Leder, mehrere falsche „Carmens“ mit Reifröcken und Stöckelschuhen sind die Blickfänge für staunende Touristen und Passanten, als sich der Demonstrationszug durch die Frankfurter Innenstadt bewegt. Drei Stunden dauert das Demo-Marathon mit Luftballons, Musik und zahlreichen Transparenten, unterbrochen von vier Zwischenkundgebungen. Interesse und Sympathien werden von zahlreichen Menschen am Rande zum Ausdruck gebracht.

Am „Kaisersack“, dem Frankfurter Junkie-Treff, geht es um 12 Uhr los: Nur wenige sind gekommen, vielleicht gerade 150 Menschen. Auf dem Weg durch die Stadt schließen sich dem Zug mit dem Motto „Solidarität mit den Uneinsichtigen“ immer mehr Leute an, zeitweise sind es 1.500, die gegen Zwangsmaßnahmen für HIV-Positive und Aids-Erkrankte demonstrieren. Sie fordern auf bunten Spruchbändern und in zahlreichen Redebeiträgen statt dessen verbesserte Aufklärung und ein Recht auf „selbstbestimmtes Leben“. Am Theaterplatz klagen schwule Männer all diejenigen an, die ihnen ihr Recht auf ihr Schwulsein und ihren Lebensstil bestreiten wollen. An der Hauptwache wird das Recht auf Arbeit und Wohnung geltend gemacht, an der Konstabler-Wache erklären sich die DemonstrantInnen mit den Asylanten solidarisch, die im nahegelegenen Knast Klapperfeld“ zur Abschiebung einsitzen. In der Breiten Gasse werden die Freier angeklagt, die Prostituierte „als Freiwild benutzen“.

Die DemonstrantInnen nennen sich „unbelehrbar, uneinsichtig, Desperados“. Dies hatte ihnen im Vorfeld die geharnischte Kritik linker Medien eingehandelt, der 'Pflasterstrand‘ titelte gar von einer „unerträglichen Geschmacklosigkeit der Aids-Hilfe“.

Warum diese Begriffe hingegen richtig seien, erläuterte der Vorsitzende der Deutschen Aids-Hilfe, Professor Dieter Runze, auf der Abschlußkundgebung: „Wer heute hier ist, ist uneinsichtig gegenüber unvernünftigen Forderungen auf sexuellen Verzicht. Unbelehrbar, wo nicht Einsicht in die Notwendigkeit vorsichtigen oder verantwortbaren Verhaltens zwischen Partnern, sondern Gehorsam gegenüber politischen Instanzen gefordert wird.“ Desperados seien sie allemal, erklärte Runze: „Desperados sind all diejenigen, die verzweifelt darüber sind, daß die demokratischen Rechte der BürgerInnen“ mittels Aids-Politik und Maßnahmekatalog ausgehebelt werden. „Im politischen Umgang mit Aids erweist sich, ob die Bürger dieses Landes für mündig gehalten werden oder nicht“, resümiert Runze.

Und auch SPD-Yuppi und Oberbürgermeister-Kandidat Volker Hauff beklagt auf der Abschlußkundgebung die herrschende Aids-Politik: „Die moralische Stärke eines Gemeinwesens zeigt sich an den Maßnahmen, die es ergreift - und mehr noch an denen, die es nicht ergreift.“ Zwangstests und die in Frankfurt seit zwei Jahren geplante Internierung von HIV -positiven Prostituierten könnten Aids nicht bekämpfen Aufklärung sei hingegen gefordert. Ein Klima des Vertrauens sei Voraussetzung für eine erfolgreiche Aids-Politik, betont der Sozialdemokrat und wird umjubelt. Aber auch Enttäuschung macht sich breit: „Trotz Einladung und Zusage ihrer Teilnahme haben die Grünen gekniffen“, sagt Klaus Graf vom Pressereferat der Deutschen Aids-Hilfe. Von den autonomen Kämpfern für die Menschenrechte ist auch kaum jemand erschienen. „Ganze fünf Autonome sind hier, daß ist eine Sauerei“, so Winfried von einer Frankfurter Autonomen -Gruppe. „Der Kampf der HIV-Positiven für ein selbstbestimmtes Leben ist gleich unserem Kampf gegen staatliche Repression“, mutmaßt er. „Gauweilerin Sauweilerin“ singen die sechs Kabarettisten von „Mänu“ am Abend im Frankfurter Volksbildungsheim, und der Saal tobt. Zum glänzend inszenierten „Ball der Unbelehrbaren“ sind über 700 Menschen gekommen. Der Ball bildet mit einem umfangreichen Kulturprogramm aus Musik, Theater und Tanz den Abschluß des Aktionstages. War tagsüber die Solidarität gegenüber HIV-Positiven noch beschworen worden, wird hier bis in die frühen Morgenstunden der Zusammenhalt gegen Diskriminierung und Ausgrenzung gefeiert.

„Wir können mit dem Ergebnis des Aktionstages zufrieden sein“, resümiert Klaus Graf zu vorgerückter Stunde. Recht hat er - selten sind Franfurter Demos soviele Sympathien in der Bevölkerung zuteil geworden wie bei der der „Uneinsichtigen“.