Konspirative VV auf Spitzelsuche

■ Bundesweite Vollversammlung der Autonomen in West-Berlin zum IWF-Kongreß kann die Spitzel im Saal nicht finden und wirft ersatzweise den taz-Reporter raus

Berlin (taz) - Das ist neu: Eine subversive Massenveranstaltung, zu der zuvor bundesweit öffentlich aufgerufen worden war. Geladen hatten die Autonomen am Wochenende nach West-Berlin in den Mehringhof zwecks Vorbereitung der Anti-IWF-Weltbank-Aktionen. Doch bevor man zu den geplanten anti-imperialistischen Inhalten kam, galt es zu klären, wer denn überhaupt alles im Saal sei. Sollte möglicherweise auch der Staatsschutz der öffentlichen Einladung Folge geleistet haben? Sitzt er gar in schwarzer Lederjacke im Saal? Was tun, um autonome Intimität sicherzustellen?

Man befindet, daß sich die Unbekannten unter den etwa 200 Anwesenden der konspirativen Vollversammlung vorstellen sollen. Dabei wird entschieden, ob sie bleiben dürfen. Zwei Türken, die ihre Unterstützung für die Anti-IWF-Aktionen anbieten, werden nach Hause geschickt und verlassen schimpfend den Saal. Dann stellt sich der Vertreter des Lateinamerika-Zentrums (LAZ) vor. Er darf bleiben. Plötzlich findet die Vorstellungsrunde eine abrupte Unterbrechung: „Wenn hier einer sagt, er sei Karl Müller aus Nürnberg, dann kann er doch trotzdem vom Verfassungsschutz sein.“ Das überzeugt. Wegen mangelnder Erfolgsgarantie wird die Vorstellungsrunde abgebrochen, doch seit Minuten schon sind argwöhnische Blicke auf mein gebügeltes C&A-Hemd gerichtet. Also schnell in die Offensive. Ich nenne meinen Namen und mein Ansinnen: Berichterstattung für die taz. Lautes Hohngelächter und „taz lügt!„-Rufe.

Das Votum aus den Zentren des autonomen Widerstands ist klar: Hafenstraße und SO 36 erklären: „taz raus“. Ich muß gehen. Die taz kann ihre Leserschaft folglich nicht über die weitere Diskussion informieren. Dafür hat sich der Staatsschutz seine Notizen gemacht. Denn: „Karl Müller aus Nürnberg“ durfte bleiben.

Till Meyer