Angriff der (menschlichen) Bestien

■ Ein ungebroche Energie ist den Bildern des Malers Franzisko Mejia anzumerken, die derzeit in der Villa Ichon zu sehen sind: Eine Palette zwischenmenschlicher Kampfformen

Ein Künstler beugt dem Unverständnis vor: weil der Maler Franzisko Mejia während seiner letzten Ausstellung „enttäuscht“ war, da „die Leute meine Bilder nicht verstanden“, fühlte er sich zur Eröffnung seiner neuesten Ausstellung in der Villa Ichon vorsorglich zur Erklärung bemüßigt und das gleich seitenlang. Der Maler, der auch Schreiber (von Gedichten) ist, hatte einen Text verfaßt, der in seiner dramatischen Form und seinem engagierten Inhalt zunächst durchaus lesenswert war, später aber in Binsenweisheiten ausuferte. Von der „Arena“ unserer Gesellschaft sprach Mejia, in der die Menschen einander wie Bestien belauern, umschleichen und schließlich bis zur Vernichtung bekämpfen.

So seien denn die häufig in seinen Bildern auftauchenden Stiere Symbole für den Angreifer, aber auch den Besiegten. Vielleicht muß das ja den Leuten gesagt werden, aber es ist schon ein Kreuz mit dem „Kreuz“, wenn ein reflektierender und talentierter Maler wie Mejia glaubt, auch dessen christliche Symbolik erklären zu müssen. Vielleicht liegt das Mißverständnis ja auf seiner Seite, wenn er hofft, jede/rmüßte seine Bilder begreifen.

Mejia sollte getrost den Großmut aufbringen, in der Schar seiner Anhänger Lücken zu sehen, läßt er seine Bilder für sich sprechen. Beredt genug sind sie, drastisch und eindringlich, üppig und dramatisch. Frauen und Männer mit derben Körpern, deren Glied

maßen kaum vom Bildrand gebändigt werden.

Eine ungebrochene, unzerstörbare Energie ist in ihnen zu spüren, obwohl diese Menschen fast immer in Positionen der Unterdrückung, des Gebeugtseins, der Verzweiflung zu finden sind. Der Gegensatz zwischen Körperausdruck und dem der Gesichter läßt erschrecken: die Köpfe geduckt, die Augen mißtrauisch, skeptisch, wenig froh, gehen diese Gesichter auf Distanz. Manchmal verschmelzen Mann und Frau zu Zwitterwesen, andere tragen Stierköpfe und dann sind diese auch hoch erhoben, die Augen leuchten lüstern, besitzergreifend: die Bestie im Angriff.

Zwischen den Extremen der menschlichen Bestie und dem menschlichen Häuflein Unglück, entfaltet Mejia eine beängstigende Palette zwischenmenschlicher Kampfformen.

Mensch sein, das bedeutet für ihn immer das gegenseitige Verschlingen. Eines der makabersten Bilder ist das der „Jungfrau mit dem Kind“: Von einem riesiges Kind an der eigenen Brust scheint die Mutter fast gefressen zu werden. Diese Arbeit erinnert mit ihrer Proportionsverschiebung und folkloristischen Vereinfachung an die für Lateinamerika typische Wandmalerei. Möglich, daß damit Mejias kolumbianische Herkunft deutlich wird.

Seit sechs Jahren lebt er in Bremen, kam hierher wegen „meiner eigenen Geschichte“, daß nur sie und keine Kunsthistorie Einfluß hätte auf seine Arbeit und die er

mit schwangeren Bäuchen und dicken Brüsten immer wieder zeichnerisch wiederbelebt.

Obwohl „studierter“ Architekt, malt er seit der Kindheit und hat sich mittlerweile eine prägnante künstlerische Handschrift angeeignet.

In den Kohlezeichnungen und den kleinen Blättern zeigt sie sich vibrierend und vielschichtig, in den großen Ölgemälden gibt sie den Figuren eine neue erweiternde Qualität: Die Menschen gleichen Skulpturen, werden zu Denkmälern ihres eigenen Unvermögens. Im so harmlos „Am Strand“ betitelten Werk hat Mejia zudem seine Vorliebe für Rot und Gelb ausgelebt und ein doppelsinniges Menschenknäuel entworfen: Sind die Figuren, übereinander, ineinader verschlungen zu einem Block, rot vor wohltuender Sonnenwärme oder nicht vielmehr versengt von der tödlichen Glut einer mitverschuldeten Katastrophe? Die Serie der schwarz-weiß Zeichnungen verlangt ein genaueres Hinsehen, ist weniger direkt und virtouser im Strich, die Gestalten entwickeln sich vor dem Auge zu ebenso beängstigenden wie mitleiderrengenden Kreaturen. Wahrlich, ein Bestarium.

Es ist übrigens das erste Mal, daß in der Villa Ichon ein Künstler zwei Stockwerke belegen durfte. Das mag anerkennend gemeint sein, ist aber ein Beispiel dafür geworden, daß weniger wieder mehr gewesen wäre.

Beate Naß

Noch bis Ende des Monats zu sehen