Kabale um den Küsten-Kabeljau

■ Holländische Fischer kaufen alte Bremerhavener Kutter und damit wertvolle Anteile an der bundesdeutschen Kabeljau-Quote / Jetzt schlägt der Fischereiverband zurück / Er will Fischereigesetz novellieren lassen / Ziel: Lizenzentzug

„Hein Nase“ hieß er wegen seines markanten Gesichtsschnitts. Aber so typisch sein Spitzname, so wenig erfolgreich war Heinrich Hilgemeyer als Küstenfischer. Mit fast einer Million Mark Schulden soll sein Kutter „Ostsee“ belastet gewesen sein, als sich endlich, in Januar dieses Jahres, jemand fand, der den alten Kahn kaufen wollte. Der Mann hieß Müller und kam aus Emden. Bei einem Preis von just einer Million Mark wurde man handelseinig. „Hein Nase“ verstarb kurz nach dem entscheidenden Handschlag - schuldenfrei.

Seinen Platz in der Bremerhavener Kuttergenossenschaft nahm besagter Müller ein, aber nicht nur er: Miteigentümer der „Ostsee“ sind zwei Repräsentanten der holländischen Firma UVEC, ein Fisch-Verarbeitungsunternehmen aus dem Hafen Urk

am IJssel-Meer.

Seitdem hat die „Ostsee“ ihren Heimathafen an der Wesermündung nicht mehr angelaufen. Sie fischt Kabeljau dort, wo er am dichtesten steht: vor der niederländischen Nordseeküste und im Ärmelkanal. Aus der Deutschen Bucht, dem dreckigsten Fanggebiet der Welt, hat er sich nämlich in den letzten Jahren in Richtung Westen zurückgezogen. Ihren mit Fisch gefüllten Bauch entleert die „Ostsee“ jetzt in Urk. Die Bremerhavener Verarbeitungsindustrie geht leer aus. Was die dortigen Küstenfischer aber am meisten erbittert: Unter deutscher Flagge und offiziell als Mitglieder ihrer eigenen Genossenschaft fischen die Holländer die bundesdeutsche Kabeljau-Quote leer.

Wieviel Tonnen Fisch jede Nation aus der Nord- und Ostsee von den verschiedenen Sorten holen

darf, das legen die Anrainer Staaten jedes Jahr aufs neue fest. Die niederländischen Fischer, mit einer leistungsfähigen Flotte und einem hochmodernen Background in der Verarbeitungsindustrie, fühlen sich seit Jahren bei den Quoten schlecht bedient.

„Die haben sich Quote gekauft“, sagt der Fischer Dieter Ehsemann, „der alte Kutter war Beigabe. Der war höchstens eine halbe Million wert, nicht eine ganze.“ Ehsemann will wissen, daß die holländische Besatzung der „Ostsee“ nicht nur die Fische an Land bringt, die sie selbst gefangen hat. „Die übernehmen Fisch auf See von anderen holländischen Kuttern, das wird dann als Fang aus der deutschen Quote verbucht“.

„Quote gekauft“ haben holländische Gesellschaften nicht nur in Bremerhaven: In Büsum sind drei

der dort ansässigen acht Kutter über Strohmänner in holländische Hände übergegangen, in der Finkenwerder Genossenschaft ist es bisher einer.

Einen kuriosen Weg ging der Bremerhavner Trawler „Ursel“. Ihr früherer Eigner Helmut Neumann verkaufte die „Ursel“ an eine Lübecker Strohfrau und damit in spanisches Eigentum. Fernab vom Heimathafen, in der Irischen See, fährt die „Ursel“ jetzt den Seehecht-Schwärmen hinterher. Sind ihre Kühlräume voll, kehrt sie heim - nach Vigo an der spanischen Atlantikküste.

Über das Geschäft mit der „Ursel“ sind die Bremerhavener Fischer jedoch aus einem einfachen Grund nicht böse: Der Seehecht schmeckt den Deutschen nicht. Die bundesdeutschen Küstenfischer nutzen deshalb ihre Seehecht-Quote nicht aus, sondern

können ungenutzte Kontingente sogar gegen Kabeljau-Quote tauschen.

Geradezu glücklich ist die bundesdeutsche Fischwirtschaft, daß zwei holländische Firmen mit Sitz in Bremerhaven Heringe aus der hohen See holen. Denn auch ihre Heringsquote nutzen die deutschen Fischer nicht aus und müßten deshalb eigentlich Anteile abgeben. Dank der holländischen Fischer bleibt die deutsche Quote erhalten. Die Firma Doggerbank, größte holländischer Heringsfängerin in Bremerhaven, läßt sogar auf der benachbarten Seebeck-Werft ihre Schiffe bauen und reparieren. Also Arbeit für die marode Wirtschaft an der Unterweser.

Dennoch: Wenn es an ihren Kabeljau geht, verstehen die Deutschen keinen Spaß: Kurz nach seiner Sommerpause soll der

deutsche Bundestag dem trickreichen Quotenklau der Holländer einen Riegel vorschieben: Eine Gruppe von CDU-Abgeordneten will das Seefischerei-Gesetz verändern. In Zukunft soll das Bundesamt für Fischerei die Möglichkeit haben, Kuttern, die 1987 und später in die Genossenschaften eingetreten sind, die Fanglinzenz wieder zu entziehen. So wären die niederländischen Quotenkäufer mit einem Zug auf Trockene geworfen. Auf einer Versammlung von Vertretern der Fischwirtschaft in der vergangenen Woche in Bonn haben Beamte des Ernährungsministeriums diese Gesetzesnovelle vorgestellt. Federführend ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Harry Carstensen aus Nordstrand. Sein Hauptberuf: Präsident des deutschen Fischereiverbandes.

Michael Weisfeld