B Ü H N E B E R L I N

Das Schöneberger Staatstheater am Rathausplatz hat, wie alle anderen Bühnen auch, Ferienzeit. In der Off-Szene des Offiziellen wird durchgespielt: bei den staatsnotorischen Kleindarstellern, beim Heer der Ausführenden, der kleinen Funktionsträger.

Der Schauplatz, die sogenannte Bade-Anstalt ist jedem bekannt. Den Beobachter stellt sie auf harte Aufmerksamkeitsproben. „Von zehn Frauen, mein Lieba, sinn vielleicht drei bei, die danke sagen“, schwafelt ein Alter am Nebentisch des Imbißgärtchens im Neuköllner Columbiabad. Wie hat der Schwafler seinen Körper so gräßlich zugerichtet? Im Krieg vermutlich. (Ich frage mich, wo der Autor den seinigen so zugerichtet hat, besonders den Kopf! Sprung vom Dreier - Becken leer? d.s.) Aber unwichtig: Wo ist der Bademeister? Die Frau da hinten ... Sonntagnachmittagssonne macht faul und träumerisch; aber statt geistesabwesend auf nackte fremde Brüste zu starren, soll ich Bademeister beobachten. Jetzt quäkt es endlich: Er zitiert einen etwa Siebenjährigen mit Taucherbrille zu sich. Der deutet fragend auf seine klapprige Brust, erhält Bestätigung, schleicht zum Appell. - Schuhe aus, hinterher,

-durch einen knöcheltiefen Betonwassergraben. Da sitzen sie! Bademeister! Vier Stück, drei männlich, ein weiblich. Ein übellauniger Prüfblick trifft den vollständig bekleideten Beobachter, der sich sofort auf unbestimmte Weise schuldig fühlt.

Bademeister müssen imponieren, am besten durch allseitiges Dicksein. Der Oberhammel hat plumpe kurze fette Beine, einen aufgeblähten Brustkorb, hochgeblasene Bizeps, teils Fett, teils Muskeln. Er trägt einen tartarischen Schnauzer, sitzt entschieden breitbeinig, die wurstfingrige Rechte baumelt einsatzbereit vor dem Megaphon. „Saubande!“ sagt sein Blick; seine ganze Haltung fragt sich, warum Kinder nicht mit einem fertigen Regel- und Unterwerfungssystem geboren werden. Im Minutenrhythmus bläst er probeweise krächzend ins Megaphon; wenn der Vorfall ausbleibt, zu dem er seine Abrichtungsformel dröhnen könnte, setzt er wieder ab und hält Ausschau nach weiteren kindischen Irrtümern. Erst sein Imponierspiel macht aus kleinen Fehlern sanktionswürdige Vergehen. Wenn man nicht wüßte, daß Kinder solche Gestalten am wenigsten ernst nehmen - es wäre deprimierend. „Du in den blauen Hosen“, bellt der prallsackförmige Mann jetzt, „ich will dich da drin nicht mehr seh'n. Geh‘ raus!“ Die Tätigkeit des Meisters in dieser Anstalt ist gänzlich identisch mit seiner Funktion. Daß er irgendetwas Reales arbeitet, ist nicht festzustellen. Er geht restlos in dem auf, was er darzustellen hat: Übergeordnete, unanzweifelbare Autorität, unerbittliche Präsenz. Durch ihn hat Wasser Balken - zum Kopfstoßen, nicht zum Festklammern. Auch wenn er nur dasitzt, still, dumm und voluminös: Er hat das Megaphon, er demonstriert, er hat das Sagen. Wieviel mag unbewußt von dieser sinnlosen Figur in den Kinderschädeln bleiben, wieviel fraglose Unterordnung, welche Reste von diesem selbst dem Erwachsenen spürbaren merkwürdigen Gefühl: Hab ich was falschgemacht? Bin ich in der Ordnung?

Eine Figur von leicht makabrer Lächerlichkeit. Was mag er im Winter tun? Strafzettel verteilen? U-Bahn-Bürgerwehr? Im Sommer jedenfalls ist der Bademeister durchaus imstande, demjenigen, der sich nicht mit genügend Ignoranz gewappnet hat, das bißchen Leichtigkeit und Sonnengefühl zu vergällen...

Klaus Nothnagel