Quer zum Zeitgeist-betr.: "Heute mit der Missa nach Moskau", taz vom 4.7.88

betr.: „Heute mit der Missa nach Moskau“, taz vom 4.7.88, S.

(...) Was hat das Kubat-Dreieck, das beste und gelungenste Spektakel, das Berlin für E 88 bereithielt, damit zu tun, „daß das Weiße Haus nur mittellauwarm telegrafierte und Gorbis Stab Besseres zu tun hatte? Muß am Kubat-Dreieck nach typisch deutscher Manier die Welt genesen und alles daran gemessen werden? Bekommt ein Ereignis unbedingt mehr Glanz, wenn die Großkopfeten sich in Grußbotschaften überschlagen? Ist das konstatierte „mittellauwarm“ nicht eher ein Indiz dafür, daß das wie auch immer geartete Eintreten gegen einen möglichen Atomkrieg noch immer quer zum Zeitgeist liegt?

(...) Es war sicherlich ein bescheidener Beitrag (wie das Konzert zu Mandelas Geburtstag oder ähnliche Musikveranstaltungen zu politischen Themen) zu einem Anliegen, das eigentlich allen auf den Nägeln brennen müßte. Offensichtlich braucht aber jeder, der sich dazu Gedanken macht und auf seine Weise Freizeit, Kraft und Geld einsetzt, die Genehmigung von Frau Bauer. Auf jeden Fall darf er kein Arzt sein, weil Albert Schweitzer mal „im Busch Bachchoräle spielte“.

Gehässigkeit, (...) Provinzialismus und infantile Intoleranz kennzeichnen zunehmend die taz. „In der gesamten Republik ist an Überraschungen nichts zu erwarten“, war der Kommentar von Thomas Langhoff über „Die Wochen im Sommerloch“ (4.7.). Aber, aber, da muß Frau Bauer doch vor lauter Frust nicht gleich einen wilden Rundumschlag begehen. Pessimismus und radikale Aufklärung sind wirklich in Ordnung. Aber wenn eure Schreiber sich ihren Frust aus der Feder rotzen, weil sie es nicht schaffen, den Zauberer zu spielen, der die Welt irgendwie herumkriegt, seinem Willen zu dienen, dann finde ich das bedauernswert.

(...) Frau Bauer scheint wenig Ahnung von und Sympathie für Musik zu haben. In der ersten Geige können sich keine acht Konzertmeister „duellieren“. Es gab nur eine (Thomas Brandis), und die war wirklich gut. (...)

Ich denke schon, daß es legitim und wirklich notwendig ist, Menschen zu gestatten (denn eigentlich dürften sie es nicht, auch „wenn sie nicht schaden“), mit ihrem Handwerkszeug zum Beispiel gegen den Atomkrieg „wie Engel und Teufel zu singen und zu spielen“ - wahrhaftig ein unfreiwilliges Kompliment. Ich bin keine Ärztin. Ich schabe kein Cello und schlage keine Orgel, und „ewige Werte deutscher Klassiker“ finde ich eher zunehmend bei „Linken“, die beim (Nicht-)Rauschen des deutschen Waldes feuchte Augen bekommen.

M. Schulz-Rubach, Berlin 36

(...) So viel Kulturverständnis, so viel Anteilnahme für die Sache, habe ich gar nicht erwartet. Schon die Überschrift entsprach völlig dem Aufwand, den diese Leute vom Hocker gerissen haben. „Internationale Ärzte verhüten mit Beethoven den Atomkrieg.“ Sensibel hast du sofort herausgehört, daß es denen nur um die Verhütung durch Musik ankommt.

Ich gratuliere dir, denn du entlarvtest gleich weiter, daß das „wunderbarste Orchester der Welt“ sich anmaßte, gleich neben dem Kubat-Dreieck sein Spiel für „inneren und äußeren Frieden“ zu spielen. Welche Farce, welche Anmaßung, für ein paar „peoples“ daherzukommen und „Dona nobis pacem“ zu singen, wenn gleichzeitig bei uns das Kubat-Dreieck geräumt werden soll. Ich atmete auf, als du „diesen Verein“ gleich richtig in die rechte - richtige - Ecke rücktest. (...) Was sind das für weltfremde Idioten, die „nach Praxisschluß das Cello schaben“, die dieses „Schweitzer-Syndrom“ verinnerlicht haben und ganz an der Realität vorbeirennen, mit ihrem humanistischen Gedudel.

Schier ausgeflippt bin ich bei deiner Einschätzung der Musiker. Welche Anteilnahme an den Chormitgliedern sprechen aus diesem Artikel. „Sie spielten wie die Teufel“, „martialisch blies der Solotrompeter“. Dieses Niveau einer Konzertkritik entspricht genau dem hohen Niveau der politischen Einordnung der IPPNW. Was für abgewandte Spinner, die auf eigene Kosten hier herüberkommen, um Weltpolitik auf musikalische Form zu reduzieren. Welch Aufwand an Nationalitäten, um einer medizinischen „Konzertagentur“ zum Image zu verhelfen.

Ich kann es gar nicht abwarten, als Ko-Autorin bei deinem nächsten Artikel vom Bach-Konzert der IPPNW in Beirut dabei zu sein.

Waltraud Quitmann, Berlin 41

Diese große Glosse habe ich zuerst mit schmunzelndem Vergnügen gelesen - sie ist frech und witzig.

Jedoch ist mir nicht klar, was die Autorin gegen musizierende Ärzte hat. Auch sehe ich keinen Zusammenhang zwischen dem Kubat-Dreieck und einem Benefizkonzert in der Philharmonie. Und wieso hat „jedes Kaff sein Ärzteorchester“?

Auch die Häme gegen die durchaus wichtige Organisation (IPPNW). Diese heute mehr als 200.000 umfassende Organisation muß ihre weltweiten Kampagnen ja irgendwie finanzieren. Übrigens sei zur Schande der Berliner gesagt, daß die Philharmonie am Sonntag nicht ausverkauft war. (...)

Georges Reymond, Berlin 30