AUFKLÄRUNG

■ Ernst-Peter Wieckenberg "Einladung ins 18.Jahrhundert - Ein Almanach"

Es gibt berühmte Briefe Goethes an Charlotte von Stein. In einigen davon spricht er von der „Urpflanze“. Hier ist einer, den sollte sich mal einer vorknöpfen. Er bekäme - so er Augen hat zu sehen - eine sehr überraschende Konstellation zu analysieren. Der Brief führt von einer Mondnacht in Neapel bis zu einem Satz, der von Foucault stammen könnte. Den Assoziationsgang dieser Passagen Stück für Stück herauszuarbeiten würde sich lohnen. Goethe schreibt: „Übrigens habe ich glückliche Menschen kennen lernen, die es nur sind, weil sie ganz sind...“, dann kommt er zur „Urpflanze“ von der er sagt: „Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu, kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt: die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten... Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen.“ Dann ein Absatz, der so tut, als wäre jetzt von etwas ganz anderem, nämlich von Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ die Rede. Dem folgt der verblüffend scharfsichtige Satz: „Auch muß ich selbst sagen halt ich es für wahr daß die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht ich daß zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter werden wird.“ Die in Italien gemachte Erfahrung, daß der Einzelne glücklich sein kann, führt zu einer Bemerkung über die Möglichkeit des Glücks für die Menschheit insgesamt. Dazwischen eine Reflexion über die Möglichkeit der Progression von dem was ist, zu dem, was sein kann und sein muß. Dieser Übergang wird nicht als gesellschaftlicher begriffen, sondern als natürlicher, als einer, den Goethe in der Pflanzenwelt entdeckt hat, der aber für alles Lebendige Geltung haben muß. Der Mensch wie wir ihn kennen ist noch nicht das Ziel, die Entwicklung wird über ihn hinausgehen. Die Vorstellung, das, was da kommen wird, herzustellen, liegt nicht außerhalb des Horizontes dieser Argumentation. Im Gegenteil: das Hospital, das die Welt der Zukunft sein soll, ist je genau der Ort, an dem la fortune corrigieret wird. Daß die Therapie einmal den Strafvollzug ablösen würde, hätte der Herr Minister bestimmt nicht gedacht, der Briegautor hat es aber fast gesagt. „Einladung ins 18. Jahrhundert“ heißt ein Almanach des Beck -Verlages, der mehr als hundert deutsche Texte aus und über das Jahrhundert der Aufklärung bringt. Viele davon aus anderen Büchern des Verlages, der ja die „Bibliothek des 18. Jahrhunderts“ herausbringt, eine ganze Reihe davon aber bisher unveröffentlicht. Zum Beispiel einen der Berichte über die Aufklärung oder besser den Mangel daran in Bayern, auf den sich Nicolai bei seiner einflußreichen Reisebeschreibung stützte. Hier ist auch der wunderschöne Brief der Meta Moller zu finden, in dem sie beschreibt, wie ihr späterer Gatte sie mittels Lesen becircte: „Klopstock trat mit mir an ein Fenster und las einen Brief von Ihnen. Ich, um desto besser in den Brief zu sehen, weil wir ihn doch nicht laut lesen konnten, hatte, wirklich ganz von ungefähr, meine Hand hinter Klopstocks Rücken gelegt. Er drückte sie mir ganz sanft mit seinem Rücken. Dieser Druck erregte bei mir ein Gefühl, das mich aufmerksam machte, das aber doch so süß war, daß ich nicht im Stande war, meinen Arm zurück zu ziehen (welches ich bei einer anderen Mannsperson gewiß gleich getan hätte). Mein Arm bleib also ganz dicht an Klopstocks Rücken liegen, solange er den Brief las....“ Wie's weiter geht, kann man in einem der schönsten Bücher des Jahres nachlesen:

Einladung ins 18. Jahrhundert - Ein Almanach aus dem Verlag C.H. Beck, herausgegeben von Ernst-Peter Wieckenberg, 523 Seiten, Abbildungen, 25,-DM