Schnelle Pferde - schnelles'schnelles Glück

Die Trabrennbahn Gelsenkirchen - Tummelplatz für Zockerproletariat und High Society / Außenseitersieg beim Elite-Rennen  ■  Aus Gelsenkirchen Fred Schywek

Den Aldi-Plastiksack mit den restlichen Mettbrötchen versteckt Christian unter dem Wettisch. Die Brötchen hat ihm die Bedienung zugesteckt, denn das elfte Rennen läuft, danach ist Feierabend. Von den Geldscheinen, mit denen er anfangs gewedelt hat, ist ein Zehner übrig. Draußen, auf der Trabrennbahn, kleben 10.000 Zockeraugen, glänzend und schwarz vor Erregung, auf zehn Pferdeleibern. Deren Schweiß läuft wie Tollwutschleim, da gibt es die Peitsche auf den Pelz, das Volk gröhlt, die Traberherde jagt auf die Ziellinie zu.

Früher wurden ausgediente Traberpferde als Arbeitsgäule in die Grube geschickt. Schon im Jahre 1912 herrschte auch in der Tierwelt das „Prinzip Leistung“. Seit damals finden in Gelsenkirchen, genauer auf dem damaligen Flugplatz Rotthausen, Pferderennen statt. 1947 wurde das erste „Elite“ -Rennen gestartet, eine wichtige Teilprüfung zum „Europäischen Cirkel“ (EC). Zu den zwei Renntagen in der Woche kommen pro Veranstaltung 5.000 Zuschauer auf die Bahn an der Nordgrenze Essens, im Monat also über 40.000.

Die Pferde werden schwächer, doch die Peitschen der Fahrer knallen unbarmherzig auf die verschwitzten Rücken. Gesichter färben sich rot, die Augen auf einen der 80 Farbmonitore oder direkt auf die Arena gerichtet. Viele Hände zittern mit Wettschein. Je näher die Herde der Kampfwagen zur johlenden Horde der Wetter an der Ziellinie jagt, desto wütender tönen die „Komm! Komm! Komm!„-Rufe. Auf die Tische wird geschlagen, heißer Kaffee kippt um.

Der Endspurt. Letzte Reserven werden aus den Pferdemuskeln gekitzelt. „Der Dautzenberg sollte lieber rückwärts fahren, dann ist der schneller.“ Die letzte Zwischenzeit: „Einsachtzehnneun!“ Im Gleichmaß dreht sich der Zeiger der Uhr. Einheit für Einheit. Rädchen für Rädchen, genügsam wie er ist, schafft der Ruhrgebietsmensch Werte. Nur hier, auf der Rennbahn, kippt sein Arbeitsethos in die Irrationaliät. Da wird der Arbeitslohn von zwei Tagen auf ein Pferd gesetzt, und dann nach drei Minuten läßt das Schicksal das Richtbeil fallen.

Im Rennmagazin 'HEAT'- blinkert die Zukunft schwarz auf weißem Papier: „Strandräuber“ mußte kurzzeitig aussetzen. Seine Gesamtleistung aber ist gut, er kann vorne landen. „Dufti Dufti“ könnte verbessert sein. Auch ein gutgehender „Gauner“ bietet sich für ein Platzgeld an.

Am Sonntag ging das Elite-Rennen, dotiert mit einem Preisgeld von 150.000 DM hinter dem roten Starterwagen auf die Bahn. Herausforderer: „Mack the Knife“ (Gewinnsumme 1.723.340 DM, Fahrer: Stig-H. Johannson) und „Rainbow Runner“ (913.794 DM, J.P. Dubois). Deutsche Hoffnung: „Reado“ (385.250 DM, Wim Paal), absoluter Favorit: „Potin d'Amour (2.338.950 DM, Jan Kruithof).

Zu diesem Großereignis in der Ruhrstadt schwebte auch die Besitzerin dieses siebenjährigen Hengstes, die Marquise de Moratalla, mit ihrem Privatjet in Gelsenkirchen ein. Viel Freude hatte sie nicht an ihrem Prunkstück. Potin d'Amour hatte mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun. Es gewann sensationell der als 176:10-Außenseiter an den Start gegangene Hengst „Yzeren Hein“ (Roelof Kromkamp) vor „Mack the Knife“.

Parterre, betrunken kratzt sich Werner Lewanowski am unrasierten Ruhrgebietsschädel, weiß nicht, wie er morgen die Eierravioli zur Dose Karlsquell finanzieren soll. Den todsicheren Sieger gesetzt - doch verloren. „Ihr Ziegensäcke“, brüllt er besoffen, „ihr Ziegensäcke.“

Doch neue Chance, neues Glück. Die Zukunft ist Gold. Deshalb wird jetzt noch einmal kräftig zugebuttert, Wett -Kombinationen erhöht, der letzte Zehnmarkschein riskiert, denn der Hunger nach Glück ist unersättlich bei der halben Million Zuschauer, die die Schlacke-Sand-Bahn im Jahr sieht.