Kubas Angst vor Infektionen

Kontakte mit Ausländern sind auf Castros Insel nicht gern gesehen, nicht nur wegen der Aids-Gefahr / Viel gefährlicher ist das Virus kapitalistischer Ideologie / Ein Reisebericht  ■  Aus Havanna Antje Bauer

Sie sind bequem, die Flugzeugsessel aus den fünfziger Jahren. Ein Ventilator fächelt Kühlung, aus riesigen Boxen dröhnt „Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band“, und das Bier ist kalt. Doch Manolo schämt sich. Für die Risse im roten Plastikbezug der Sessel, für den blätternden Putz an den Wänden, für die alten Männer, an denen er mich hat vorbeischieben müssen. „Ich hätte dich ja lieber in eine Bar eingeladen“, klagt er, „aber du siehst ja, hier wird nirgendwo tagsüber Bier ausgeschenkt.“ Statt dessen ist er nun auf die illegale Kneipe ausgewichen, die ein Freund in seinem Schlafzimmer eingerichtet hat.

Manolo ist Bauarbeiter. Einen Tag lang arbeitet er, danach hat er einen Tag frei. Dann schlendert er durch die engen Sträßchen der Altstadt von Havanna, lehnt stundenlang an einem der rosafarbenen oder grasgrünen Häuser im Kolonialstil und schaut den baseballspielenden Kindern zu oder Frauen, die vor einem Laden Schlange stehen, wartet auf Zerstreuung. Wenn eine Touristin alleine daherkommt, trägt er ihr seine Begleitung an. Er fragt sie, woher sie kommt und ob sie in ihrem Land auch einen halben Monat arbeiten muß, um sich eine Hose kaufen zu können, die nach weiteren drei Monaten wieder zerfällt. Ob sie es richtig findet, daß er die letzten zwei Wochen des Monats nur Eier und Reis mit Bohnen ißt, weil zu mehr das Geld nicht reicht. Und schließlich, ob sie nicht ein paar Dollars wechseln möchte, fünf Pesos zu einem Dollar, im Gegensatz zum offiziellen Kurs von einem Peso zu 75 Cents.

Die Chance, daß die Touristin seinen Wunsch erfüllt, ist allerdings recht gering. Denn Mandolo ist nicht der einzige. Und kaum hat die Touristin ihr Hotel verlassen (das sie mit Dollars bezahlen muß), wird von allen Seiten das gleiche Anliegen an sie herangetragen.

Der Besitz der Yankeewährung ist für Kubaner ausgesprochen einträglich. In den „Intur„-Läden, die in allen Touristenzentren eingerichtet wurden, steht zu Dumpingpreisen vieles zum Verkauf, was es auf dem freien Markt nicht gibt: von „Lois„-Jeans über Kosmetika bis hin zu Küchenherden. Ein Ventilator, der in einem normalen Geschäft 600 Pesos kostet, mehr als drei durchschnittliche Monatslöhne (wenn es ihn überhaupt gibt), wird im „Intur„ -Laden für 30 Dollar angeboten, 150 Pesos zum Schwarzmarktkurs. Jeder, der irgendwie Pesos erübrigen kann, beteiligt sich deshalb an der Jagd auf den Dollar. Da Kubaner in diesen Läden nicht einkaufen dürfen, wird ein vertrauenerweckender Ausländer gebeten, das Gewünschte zu besorgen. Was man nicht gerade selbst braucht, wird meistbietend weiterverkauft. Ganz ungefährlich sind diese Geschäfte allerdings nicht. Kubaner, bei denen Devisen gefunden werden, mußten bis vor kurzem mit einer Haftstrafe rechnen. Daß seit wenigen Monaten für dieses Vergehen nur noch Geldbußen drohen, mag noch keiner glauben: Die Angst ist geblieben.

Auch Manolo hat Angst, obwohl seine Hosentasche nicht einen müden Cent beherbergt. Hatte er beim Spaziergang durch Havanna eben noch gelacht und gestikuliert, verstummt er unversehens, beschleunigt seinen Schritt, läßt seine touristische Begleiterin links liegen und biegt schließlich unvermittelt in eine einsame Seitenstraße ein. „Hast du nicht gesehen?“, fragt er und dreht sich mißtrauisch um, „das grüne Auto ist schon zum zweiten Mal an uns vorbeigefahren.“ Ja und? „Wenn sie einen Kubaner mit Touristen sehen, halten sie ihn häufig an und kontrollieren seine Papiere. Manchmal muß man dann den ganzen Tag auf der Polizeiwache verbringen. Außerdem wird man registriert. Wenn sie einen nochmal 'erwischen‘, gibt es Ärger.“

Autarkie im Seelenleben

Offiziell sind Kontakte zwischen Ausländern und Kubanern nicht verboten. In der Praxis versuchen die offiziellen Stellen jedoch, unkontrollierte „Feindberührungen“ möglichst zu verhindern. Adonis, der im touristischen Sektor arbeitet, hat das zu spüren bekommen. Er ist 27 und Mitglied der Kommunistischen Jugend. Die Mitgliedschaft ist eine Auszeichnung für viele Stunden freiwilliger Arbeit beim Bau eines Kindergartens oder eines Hotelkomplexes oder bei der Ausbesserung der Straßen, für vorbildliches soziales Verhalten und hohe Arbeitsdisziplin. Der Jungkommunist wird von seinen Arbeitskollegen ausgewählt. Er hat sich der Auszeichnung würdig zu erweisen, ablehnen darf er sie nicht. Als seine Genossen erfuhren, daß Adonis seine freien Stunden nicht mit gesellschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern mit einer Touristin verbrachte, mußte er harsche Kritik über sich ergehen lassen. Ein Jungkommunist verkehre nicht mit Kapitalisten, wurde ihm erklärt. Adonis brach die Liebesbeziehung ab. „Ich will hier weiter leben“, erklärt er seinen Schritt. „Wenn ich aus der Kommunistischen Jugend hinausgeworfen werde, hat das sehr negative Folgen für mich. Ich riskierte auch, meinen Arbeitsplatz zu verlieren.“

Seine Befürchtung ist begründet. Ricardo, der ebenfalls in einer touristischen Anlage in der Nähe von Havanna arbeitete, wurde zunächst ins Landesinnere strafversetzt, als seinen Chefs seine Beziehung mit einer Bundesbürgerin zu Ohren kam. Als das nichts half, wurde er fristlos entlassen. „Liebesbeziehung mit einer Touristin aus der BRD“ steht an erster Stelle auf seinem Kündigungsschreiben. Einspruchsmöglichkeiten? „Hier gilt kein Gesetz“, kommentiert Ricardo verbittert.

Dieser Ansicht ist auch Ines. Die Bundesdeutsche hat einen Kubaner geheiratet (Preis: 1.500 Dollar, zu zahlen an die kubanische Regierung) und vor einigen Monaten auf Kuba ihr gemeinsames Kind zur Welt gebracht. Seither lebt sie halblegal bei ihrem Mann, in ständiger Furcht, ausgewiesen zu werden, denn eine Aufenthaltsgenehmigung wird ihr bislang verweigert.

Angst vor Viren

Über die Gründe für die staatliche Strategie zur Verhinderung blockübergreifender friedlicher Beziehungen läßt sich nur spekulieren. Die beiden banalsten Beweggründe für eine Kontaktaufnahme seitens der Kubaner sind bereits suspekt: Das ist zum einen der illegale Geldwechsel, der die geordnete Einnahme von dringend benötigten Devisen gefährdet. Und auch das zweite Hauptziel, die Aufnahme sexueller Beziehungen, erscheint, weniger aus moralischen denn aus hygienischen Erwägungen heraus, bedenklich. Kuba hat nach der Revolution gewaltige Anstrengungen unternommen, um eine gute Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten. Eine der größten Errungenschaften der sozialistischen Regierung liegt in dem gut ausgebauten Gesundheitssystem, in der Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung auf 73 Jahre (wie in der BRD). Eine wichtige Rolle im Kampf für die Volksgesundheit spielte die Ausrottung der Geschlechtskrankheiten, die zu Zeiten der Batista-Diktatur grassierten, als Kuba noch den US -Amerikanern als Bordell diente.

Kein Wunder, daß körperliche Gesundheit heute ideologisch besetzt ist, daß sie mit dem Sozialismus assoziiert wird, während der Kapitalismus für Geschlechtskrankheiten und neuerdings Aids steht. Mindestens ein Zehntel aller Kubaner ist mittlerweile HIV-getestet worden. Doch besondere Aufmerksamkeit gilt allen, die mit Ausländern in Kontakt kommen: Wer beruflich mit Touristen zu tun hat, wird regelmäßig alle drei Monate untersucht; wer aus dem Ausland nach Kuba heimreist, wird getestet, ebenso wie Ausländer, die sich länger in Kuba aufhalten möchten. Die HIV-Positiven - es sollen zur Zeit insgesamt 147 sein - werden in einem „Sanatorium“ untergebracht, alle anderen leben weiter wie zuvor, promisk und ohne Präservative. Nur auf die Touristen muß man ein Auge haben, denn sie werden nicht getestet, wenn sie Kuba bereisen wollen.

Ideologische Festigkeit bröckelt

Der am wenigsten faßbare, jedoch schwerwiegendste Grund dafür, daß die kubanische Obrigkeit Kontakte der Bevölkerung mit Touristen nicht sonderlich schätzt, scheint allerdings ideologischer Natur zu sein. Zwar reagieren noch immer viele Kubaner spontan mit Mißtrauen oder sogar Ablehnung gegenüber Fremden aus kapitalistischen Ländern - wenn sie keine CIA -Spione sind, sind sie zumindest Kapitalisten. Doch die ideologische Festigkeit läßt nach. Der sechzigjährige Taxifahrer, der sich brüstet, mit Fidel und Che in der Sierra Maestra gekämpft zu haben, weiß, wofür er sein Leben aufs Spiel gesetzt hat. „Hier herrschte Armut und Elend. Arbeiterkinder konnten nicht zur Schule gehen. Ein Arzt war für Arme unbezahlbar. Und schau, wie es jetzt aussieht: Jeder kann die Schule besuchen, die ärztliche Versorgung ist gratis, jeder hat eine menschenwürdige Wohnung ...“

Doch die Jungen sind in diese Errungenschaften hineingeboren, sie genügen ihnen nicht. Die Touristen, denen sie begegnen, verstärken Wünsche nach Konsum und Freiheit. „Ihr Ausländer sagt, ihr müßt hart arbeiten, um hierher kommen zu können. Aber ich muß fünf Jahre lang meinen Kühlschrank abbezahlen. Das ist doch nicht dieselbe Ebene“, bemerkt der Jungkommunist Ricardo bitter. Mit schlechtem Gewissen vorgebrachte Hinweise auf die Skrupellosigkeit der kapitalistischen Länder, deren Reichtum auf der Armut der Dritten Welt beruhe etc., ziehen nicht. „Laß dir doch nicht vormachen, daß hier alle gleich sind“, heißt es dann. „Es gibt Stadtviertel in Havanna wie Marianao oder Playas, da leben die Kaziken, die Parteibonzen. In Villen mit einem Garten außenherum und einem Auto davor. In Alt-Havanna leben währenddessen zehn Personen in einem Raum. In Marianao gibt es Leute, die haben drei Farbfernseher, während ich meinen Lebtag lang nur einen Schwarzweißfernseher besitzen werde. Überall stehen Häuser für die Militärs, wo sie für ein Spitzenessen nur ein Viertel von dem bezahlen, was ich in einem einfachen Restaurant hinlegen muß. Die Pizzas, die es hier überall zu kaufen gibt, sind nichts als Teigstücke mit einem bißchen Tomate drauf. Ein Militär bekommt eine knusprige Pizza mit Langusten - für denselben Preis.“

Auch der Internationalismus, integraler Bestandteil der kubanischen politischen Identität, kommt nicht ungeschoren davon. „Du sagst, Kuba sei eben ein armes Land“, wettert Ricardo. „Ist es denn nötig, daß ein armes Land 40.000 Soldaten nach Angola schickt? Müssen wir den erdbebengeschädigten Mexikanern ausgerechnet Textilien schicken, obwohl wir hier selbst zu wenig davon haben? Laß uns doch anderen Ländern mit dem helfen, was wir selber produzieren. Aber nicht mit dem, was uns hier fehlt.“

Durch die Stärkung des Tourismus sollte Kuba wirtschaftlich gestärkt und seine Abhängigkeit vom Zucker verringert werden. Doch gleichzeitig hat sich ein ideologisch starres Regime eine Falle gestellt. Der Anblick der guterholten Touristen, die Kuba bereisen, straft die Berichte im Parteiorgan 'Granma‘ Lügen, in denen von Armut und Elend in den kapitalistischen Ländern die Rede ist. Von den Nachteilen dieser scheinbar besseren Welt können sich die Kubaner jedoch nicht selbst überzeugen, denn wie in der DDR ist das Verlassen des Landes nur wenigen erlaubt. Viele würden Kuba am liebsten für immer den Rücken kehren und statt dessen das gelobte Land USA aufsuchen.

Andere würden gerne einmal reisen und danach wieder zurückkehren. „Was soll ich denn in Europa“, fragt Manolo rhetorisch. „Ich bin hier zu Hause, hier lebt meine Familie, hier will ich leben. Aber sehen würde ich es gern einmal.“ Vielleicht würden sie sich nach solch einer Reise ja wieder wohler fühlen auf Kuba. Würden in der Cafeteria geduldig eine halbe Stunde auf ein Glas Milch warten, weil die gemächlich arbeitende Kellnerin freundlicher ist als ihre gehetzte Kollegin in Berlin, würden sich wieder erleichtert zwei Stunden vor der Zeit von ihrem Arbeitsplatz entfernen, denn schließlich braucht man auch noch Kraft, um nachts mit den Freunden Rum zu trinken, würden mit neuem Schwung den Frauen auf der Straße Schmeicheleien zuflüstern, denn wo ist es noch so schön, Macho zu sein, wie auf Kuba... Vielleicht würden sie auch alles ganz anders machen. Wenn die Partei sie ließe.

Doch die setzt bislang auf altbewährte Methoden. „Ser como el“, steht auf einem riesigen Plakat am Straßenrand zu lesen, darüber ein riesiges Bild von Che. „So sein wie er.“ Na, zumindest was das Reisen angeht, mag er vielen als Vorbild dienen.

Anm.d.Red.: Die Personennamen wurden auf Wunsch der Gesprächspartner geändert.