„Perestroika, die Zukunft“

■ Allunionskonferenz der KPdSU, Glasnost und Perestroika - die sowjetische Entwicklung schlägt Wellen auch in den kommunistischen Parteien Westeuropas

Terracina (taz) - So rein theoretisch finden Italiens Obergenossen alles primissima, was sich da in der Sowjet-KP tut - im Grunde, entnimmt der Leser der Parteizeitung 'l'Unita‘, verwirklichen die dort seit Gorbatschows Einstieg sowieso nur Empfehlungen aus Rom.

„Freiheit und Pluralismus“ zum Beispiel riet der PCI-Rechte Giorgio Napolitano vor der Allunionskonferenz, und siehe da, die Genosssen im Kreml „verwirklichen nun die Forderungen, die wir seit Jahrzehnten stellen“. „Trennung von Partei und Staat“ - da kann der neue PCI-Chef Achille Occhetto nur darauf verweisen, daß dies „unser Beispiel ist“ - ganz so, als wäre in Italien diese Trennung auf hartnäckige Initiative der Kommunisten eingeführt worden. „Abrechnung mit der Vergangenheit“ - da fällt dem eben abgetretenen PCI -Sekretär Alessandro Natta vor allem ein, daß „in neuem Lichte nun auch all die Angriffe aus Moskau auf die italienischen Kommunisten seit unserem Bruch mit der KPdSU in den 50er Jahren gesehen werden müssen.“ Die Kehrseite für die Führungskader in Rom: Das Parteivolk versteht die Entscheidungen Moskaus immer ganz anders als die Leute aus dem ZK des PCI. Hört das Fußvolk etwas von „Perestroika“, wünscht es sich mehr Transparenz der Entscheidungen, mehr Debatte, mehr offen ausgetragene und nicht vermauschelte Kontroversen in den obersten Entscheidungsgremien des PCI gerade da aber macht ihnen die Führungsspitze das Gegenteil vor; der neue Sekretär Achille Occhetto ließ sich nach dem Abtritt Alessandro Nattas in aller Hetze und ohne einen Funken Programmdiskussion wählen. Auch die Vergangenheit wollen viele, vor allem jüngere, PCI-Mitglieder zunächst einmal in der eigenen Partei bewältigen - speziell den langjährigen Stalinismus des PCI. So sehen sich die PCI -Führer genötigt, ab und an eine eigene Leiche aus dem Keller zu holen und nachträglich aufzuhängen - ZK-Sekretär Occhetto z.B. nimmt sich derzeit die Moskauhörigkeit seines Vor-Vorgängers Palmiro Togliatti vor, allerdings so verschwommen, daß jeder etwas anderes herausliest. Ansonsten aber gilt die Devise, so schnell wie möglich Gras über die Allunionskonferenz wachsen zu lassen.

So füllt sich die 'Unita‘ seitenweise mit tausenderlei Nebenthemen, die alle vom politischen Inhalt der Gorbatschowschen Wende ablenken. Volle vier Seiten widmete die PCI-Zeitung am Wochenende z.B. den Exportaussichten italienischer Anleger in Moskau, ansonsten hörte man etwas von Belgrader Unruhen, Dubcek, der brave, wird vom Sowjet -Fernsehen interviewt - bravo, haben wir schon vor drei Monaten getan. Wo die Genossen sonst wochenlang Kreml -Wandlungen feiern, herrscht diesmal Eile, zur Tagesordnung überzugehen: Die Gefahr der PCI-internen Perestroika schwebt über den Genossen.

Werner Raith

KPF - mit Haut und Haaren

auf Kreml-Linie

Paris (taz) - Ein einziges Mal hat die Zeitung der Kommunistischen Partei Frankreichs, 'L'Humanite‘, die Moskauer Allunionskonferenz auf Seite 1 plaziert - nach der Eröffnungsrede Gorbatschows und mit dem Titel „Ihr habt das Wort, Genossen“. Das heißt nicht, daß das Thema heruntergespielt wird, sondern ist einem redaktionellen Konzept geschuldet, das die vorderen Seiten vorzugsweise innenpolitischen Themen widmet - auf den hinteren Seiten der Zeitung singen die Korrespondenten aus Moskau das Hohelied von Glasnost und Perestroika.

Die KPF, die ungeachtet ihrer eurokommunistischen Tendenzen in den siebziger Jahren nicht von der Praxis der Ausschlüsse parteiinterner Kritiker abrückte, ist mit Haut und Haaren auf die neue Politik des Kreml eingeschwenkt. 'L'Humanite‘ würdigt die demokratische Debatte, informiert umfassend, druckt wichtige Reden und Dokumente in Auszügen ab, gibt die Diskussion um Jelzin und die umstrittene Stärkung der Sowjets gegenüber der Partei wieder und berichtet auch über Demonstrationen am Rande der Konferenz, beispielsweise der „Demokratischen Union“, oder eine Pressekonferenz der armenischen Delegation. „Perestroika, das ist die Zukunft“, heißt es, und: „Freie Arbeit und freies Denken in einem freien Land, darum geht es bei der Perestroika. Von ihrem Erfolg hängen letztlich die Fortschritte des Sozialismus ab“. Allerdings entdeckt die 'Le Serin‘ auch ältere Hüte, die nicht nur terminologischer Natur sind. Wieder einmal stehen die Massen fest und geschlossen hinter ihrer Parteiführung: „Millionen Kommunisten und Nicht-Kommunisten, Arbeiter und Intellektuelle, engagieren sich im Kampf für den Triumph der Ideen der Perestroika, um sie in eine materielle Kraft der Änderung umzusetzen“.

Beate Seel

Nährboden des Sozialismus

Madrid (taz) - In 'Mundo Obrero‘, dem Parteiorgan der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), heißt es : „Gorbatschow ist weiter gegangen als alle „Ketzer“ des europäischen Kommunismus. Sein Aufruf gilt nicht nur den Sowjets und den anderen Völkern des Sozialismus, sondern der Linken auf der ganzen Welt. (...) Die Freiheit ist nicht bourgeois, die Unabhängigkeit der Richter ist kein Kapitalismus, die Rechte des Individuums, das habeas corpus, die freie und kritische Presse wie in Lenins Zeiten sind kein überflüssiger Luxus oder Beiwerk, sondern der wahre Nährboden des wahren Sozialismus. (...) Wir alle lernen aus dem, was dort geschieht.“

Und Parteisprecher Juan Berga erklärte gegenüber der taz: „Die Beziehungen zwischen dem PCE und der KPdSU habn sich in den letzten Jahren verbessert. Die Anerkennung der Unabhängigkeit aller kommunistischen Parteien wird dazu beitragen, daß sich die Beziehungen weiter verbessern.“

Antje Vogel