: Neunburg platzt aus allen Nähten
Beim Erörterungstermin für die WAA-Wackersdorf übernehmen WAA-GegnerInnen die Regie / Tumultartige Auseinandersetzungen beim Einlaß in die Stadthalle / Forderungen, Anhörungstermin am geeigneten Ort zu verschieben ■ Von Rosenkranz/Siegler
Neundorf (taz) - Rudolf Mauker, von der Bayerischen Staatsregierung als Verhandlungsleiter für den „formalen Schritt“ im Genehmigungsverfahren für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf auserkoren, läuft der Schweiß übers Gesicht wie Michael Jackson nach der zweiten Zugabe. Dabei hat der Erörterungstermin in der überfüllten Stadthalle von Neunburg vorm Wald noch gar nicht begonnen. Unmittelbar nachdem ein privater Wachdienst gestern vormittag die Tore der Halle - Flachbauweise, entlüftungssicher - für die EinwenderInnnen öffnet, übernehmen die buntgemischten WAA-GegnerInnen, Einheimische und Auswärtige, Alte und Junge, das Ruder. An den Eingängen kommt es zu tumultartigen Auseinandersetzungen, als nicht, wie vorgesehen 1.500, sondern etwa 2.500 Menschen heftig Einlaß begehren. Die Schleusen öffnen sich, als das Holz der Türe splittert und die überforderte Wache nach kurzer, aber heftiger Gegenwehr aufgibt. Schlichte Überfüllung sorgt schließlich dafür, daß dennoch einige hundert angereiste WAA -Gegner vor der Tür bleiben. Gähnend leer bleibt dagegen das von der Genehmigungsbehörde in Erwartung der Massen neben der Stadthalle aufgebaute Bierzelt. Eine Zumutung sei dieses Zelt, „in dem es nicht einmal Bier, aber auch keine Mikrophone“ gebe, sagt Greenpeace-Vertreter Rechtsanwalt Seiler.
Drinnen sieht es nach wenigen Minuten so aus wie bei tausend Anti-WAA-Veranstaltungen zuvor. Plakate und Spruchbänder zieren die Wände, die Gegner der Anlage übernehmen sogar das Saalmikrophon. Als Mauker kurzfristig den Saft abdreht, erklimmt plötzlich ein BI-Vertreter das Podium, um vom Tisch des Versammlungsleiters aus seine Forderungen vorzutragen.
Sämtliche Anträge laufen darauf hinaus, den Erörterungstermin zu verschieben und an einem geeigneteren Ort - z.B. der Oberpfalzhalle in Schwandorf, die immerhin 2.000 EinwenderInnnen Platz bietet - neu anzusetzen. Was das denn noch mit Demokratie zu tun habe, will Dietmar Zierer wissen, wenn „ich zum Erörterungstermin mit Mühe und Not durch ein Fenster einsteigen muß“. Zierer ist stellvertretender Landrat im Landkreis Schwandorf und Abgeordneter der SPD im bayerischen Landtag. Eigens aus Österreich angereist ist der Umweltminister des Landes Salzburg, Sepp Oberkirchner, der im Namen von hunderttausend EinwenderInnen fordert, den „Bau einzustellen, bis es zu einer echten Erörterung kommt“. Der Verteter der österreichischen Umweltministerin Fleming moniert die Provinzialität des Erörterungsverfahrens. Über eine Anlage mit internationalem Gefährdungspotential könne nicht wie über eine lokale Müllverbrennungsanlage in einem Städtchen ohne Bahnanschluß verhandelt werden.
Der sichtlich überforderte Verhandlungsleiter reagiert auf die Forderungen, die von Pfeifkonzerten und rhythmischem Klatschen unterbrochen und einer gut gezielten Tomate begleitet werden, mit der Unterbrechung des noch nicht eröffneten Termins. Unfreiwillig liefert der Ministerialrat den WAA-GegnerInnen die Begründung für einen Befangenheitsantrag frei Haus. Die Erörterung finde bewußt im Landkreis statt, weil dort die Bürger leben, die „wenn überhaupt von der Anlage betroffen sind“.
Noch am Montagmorgen hatte die für die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf zuständige DWK-Tochter DWW versucht, die Vielzahl von gesammelten Einwendungen in Mißkredit zu bringen. Allen Haushalten in Neunburg flatterte als Beilage zu den örtlichen Zeitungen „Neuer Tag“ und „Mittelbayerische Zeitung“ das Blatt „DWW-aktuell“ in die Briefkästen. Die „Nachbarschaftszeitung der WAA Wackersdorf“ (Eigenwerbung) führt darin drei anonyme Zeugen auf. Sie sollen beweisen, daß Unterschriften mit „Täuschungsmanövern, versteckten Drohungen und falschen Behauptungen“ zustandegekommen und erlangt worden seien. „Wenn ich zur DWW gehe, dann schlagen sie mir die Tür ein“, bekennt der eine, der andere klagt über unausgesprochene Drohungen, die schlimmer seien, „als wenn man mir direkt etwas will“, der dritte glaubt nicht, daß die WAA gefährlich ist, schließlich hätten die DWW-Mitarbeiter „auch Kinder“.
Der geringe Ansturm auf die beschauliche Pfalzgrafenstadt Neunburg am Abend des Vortages und am Morgen vor Beginn der Erörterung schien zunächst der DWW rechtzugeben. Im Gegensatz zu den Prophezeiungen der Schwandorfer BI und auch der Polizeiführung waren eine halbe Stunde vor offiziellem Beginn der Erörterung nur etwa 500 WAA-GegnerInnen zusammengekommen. Die Vertreter der Bürgerinitiativen hatten damit gerechnet, daß ab sechs Uhr morgens der Verkehr in Neunburg hoffnungslos zusammenbrechen würde. „Ich bin sehr enttäuscht“, bekannte Erna Wellnhofer vom Vorstand der BI -Schwandorf. Schließlich hatten die Oberpfälzer BIs wochenlang für diesen Tag mobilisiert. Gerlinde Sparrer aus Wackersdorf machte gar „schikanöse Polizeikontrollen“ auf den Anfahrtswegen für den ausbleibenden Massenandrang verantwortlich. Laut Aussagen des Anti-WAA-Büros in Schwandorf wurde an den drei Kontrollpunkten jedoch kein Fahrzeug länger aufgehalten.
Doch dann geht es plötzlich sehr schnell: die Halle ist überfüllt, die Stimmung prächtig. Die erste Entäuschung weicht euphorischen Gefühlen, die Stimmung reißt bis auf die Vertreter der Umweltministeriums und der DWW alle mit. Viele WAA-Gegner warten jetzt auf das vereinbarte Zeichen, um zum etwa zwölf Kilometer entfernten WAA-Gelände aufzubrechen und es in „Augenschein“ zu nehmen.
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